Erziehung PDF

Title Erziehung
Course Erziehungswissenschaft
Institution Pädagogische Hochschule Heidelberg
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Grundbegriff der Erziehungswissenschaft Erziehung...


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Roland Reichenbach Erziehung

1. Reden über Erziehung - Erziehung stellt keinen Beobachtungsbegriff dar  Pädagogisch einschlägiges oder interessierendes soziales Handeln kann nur als Erziehung interpretiert oder rekonstruiert werden  Rede über Erziehung kann nur eine Rede über die Rede der Erziehung darstellen - Israel Scheffler: Reden über Erziehung in drei Gruppen aufteilbar:  Definitionen  Metaphern  Slogans - In Sozialwissenschaften: es handelt sich wie bei anderen Begriffen auch bei der Erziehung um ein Konstrukt  Erziehung ist nicht direkt beobachtbar  Aber es gibt beobachtbare, konkrete Verhaltensweise, die als Erziehung (=Konstrukt) betrachtet werden können  Dafür notwendig: kognitive Konzepte, die nicht aus der vorliegenden Wahrnehmung/ Situationsbeurteilung folgen

2. Was ist eine Erziehungssituation? - Woran lässt sich eine Erziehungssituation erkennen? - Welche Zusatzinformationen würden die Beantwortung dieser Frage aus welchen Gründen in der einen oder anderen Richtung erleichtern oder eindeutig machen? 1. Die Lehrerin bittet Johann in der Pause, das Arbeitsblatt vom Boden aufzuheben.  Aufforderung bzw. Bitte oder Appell  Pädagogisch bedeutungsvoll?  Erzieherische Handlung?  Worauf kommt es an?  Was wäre wenn Johann nicht sechs, sondern 18 Jahre alt wäre? Gäbe es eine Veränderung der Beurteilung?  Unterschied wem das Blatt gehört?  Schöne Zeichnung, wichtiges Arbeitsblatt oder Notizen?  Ob die Lehrerin das nicht möchte, weil es nicht beschädigt werden soll, oder weil es stört?  Ob die Aufforderung beim Aufbau seines Sinnes für Ordnung helfen kann?  Wann wäre es Erziehung?

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 Was wäre wenn Johann ein Mitarbeiter in einer Firma wäre? Die Mutter tröstet den kleinen Janusz, nachdem er sich beim Raufen mit den anderen verletzt hat.  Fürsorge Maria streitet mit ihren Eltern, welche darauf beharren, dass ihre Tochter noch vor Mitternacht wieder zu Hause sein müsse.  Ver- oder Aushandeln In der Lehrerkonferenz wird beraten, ob Peter für die Versetzung zur nächst höheren Schule empfohlen werden soll.  Beratung Der Vater streicht Jonas Taschengeld für zwei Wochen, weil dieser wiederum sein Zimmer nicht aufgeräumt hat.  Bestrafung Alice fragt sich, welchen Beruf sie ergreifen soll; sie merkt, dass Sängerin zu werden wohl „bloß“ ein „Mädchentraum“ ist.  Selbstvergewisserung/ Selbsterkenntnis

 Begriff der Erziehung ist strittig, ebenso wie Identität, Gerechtigkeit, Liebe  Strittig /=/ schwammig,

Erziehung nach Hans Bokelmann: Erziehung= dasjenige Handeln, in dem die Älteren (Erzieher) den Jüngeren (Edukanden) im Rahmen gewisser Lebensvorstellungen (Erziehungsnormen) und unter konkreten Umständen (Erziehungsbedingungen) sowie mit bestimmten Aufgaben (Erziehungsgehalten) und Maßnahmen (Erziehungsmethoden) in der Absicht einer Veränderung (Erziehungswirkungen) zur eigenen Lebensführung verhelfen, und zwar so, dass die Jüngeren das Handeln der Älteren als notwendigen Beistand für ihr eigenes Dasein erfahren, kritisch zu beurteilen und selbst fortzuführen lernen.

Problem: über jedes Merkmal lässt sich streiten.

Wissenschaft versucht zu unterscheiden, um Begriff zu erhellen:  Intentionale Erziehung  Funktionale Erziehung

3. Intentionale und funktionale Erziehung

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Erziehung= soziales Handeln von Erwachsenen Lernen im Allgemeinen bzw. auf dauerhafte Verhaltensveränderungen (Aufund Abbau von Verhaltensdispositionen) und die Förderung von Handlungsund Urteilsfähigkeit der heranwachsenden Generation richtet Handlungsbegriff: intentionales und bewusstes menschliches Tun  Erziehung= intentionale Tätigkeit Funktionale Erziehung: andere sozialisatorische Einflüsse, welche das Lernen und die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen in fast jeder Hinsicht (moralisch, politisch, religiös, ästhetisch…) prägen  Von Ernst Krieck in „Philosophie der Erziehung“ 1930 eingeführt: gehörte zu den pädagogischen Ideologen der Nazizeit Hervorhebung der erzieherischen Wirkung der Gleichaltrigen, sozialen Gemeinschaft, der Gruppen und Generationen  Unbeabsichtigte Einflüsse auf Lernen und Entwicklung der Menschen  Fokus nicht auf: intentionalen, präskriptiven, reflexiv begründeten und normativ legitimierten Einwirkungen  Fokus auf: unbeabsichtigte Einwirkungen Realistische Wende: Roth 1962 begriffliche Differenz von intentionaler und funktionaler Erziehung Sozialisationsforschung heute: Untersuchung familiärer, schulischer und außerschulischer Sozialisationsbedingungen, besonders auch im Wandel (keine Untersuchung der: konkreten Formen und Tätigkeiten des Erziehungsprozesses) Welche Wirkungsunterschiede können wissenschaftlich belegt werden? Ist die Wirkung von intentionalen Erziehungshandeln gegenüber den vielfältigen, Lebensphasen und Lebensbereichen übergreifenden Sozialisationseinflüssen nicht letztlich zu vernachlässigen? Oder: Sollte man davon ausgehen, dass das pädagogische Handeln sich gerade um die Verbesserung der Sozialisationsbedingungen bemühen sollte? Gisecke: Pamphlet 1985: Das Ende der Erziehung Thesen: In der Erziehung wird sich nicht mehr um die Zukunft des Kindes gekümmert, sondern zunehmend nur noch um gegenwärtige Bedürfnisse, dass das Generationenverhältnis verschwimmen würde. Die dominanten Sozialisationserfahrungen vor allem gegenwartszentriet seien. (Bezug auf Konsum und Freizeit) Erziehungswissenschaft beschreibt nur noch Sozialisationsprozesse und nicht mehr Erziehungsprozesse  Es lassen sich nicht alle Thesen bestätigen, aber doch einige

4. Erziehung im Kontext der sozio-kulturellen Entwicklung - Treml 1987: Unterscheidung von funktionaler und intentionaler Erziehung im Kontext der sozio-kulturellen Evolution  Unterscheidung zwischen drei Phasen der Menschheitsgeschichte 1. Archaische Gesellschaften  Erziehung als Imitation (Nachahmung/Sozialisation) = funktional  Familienerziehung=Imitation  Stammeserziehung= Initiation  Erziehung diente der Traditionsbewahrung 2. Hochkulturen (seit ca. 5000 Jahren)  Funktionale und intentionale Erziehung =Differenzierung der Erziehungskultur  Für kleine Minderheiten: absichtsvolles erzieherisches Handeln und planvoller Unterricht (z.B. für Elite im alten Ägypten)  Gesellschaften von sozialen Schichten geprägt  Erziehungspraxis für die obersten sozialen Schichten wesentlich differenzierter, bewusst und geplant (Lernen ist nicht nur mimetisch zu deuten!)

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3. Moderne (seit 400-200 Jahren) Ideal der intentionalen Erziehung für alle Kulturelle Voraussetzung: Entmoralisierung und Desakralisierung der Natur/ natürlichen Ordnung Aufzeichnung der modernen Gesellschaft durch: funktionale Differenzierung Es können und müssen nicht alle Gesellschaftsmitglieder alles lernen; dies wiederum macht wieder differenziertes schulisches Lernen nötig

Geschichte der Kindheit und Erziehung ist eindrücklich und erschütternd:  Bewertung der dramatischen Behandlung und Misshandlung der Kinder muss aus menschheitsgeschichtlicher Perspektive mitbedacht werden, dass bis vor wenigen Jahrhunderten die Ausnahme war, als Neugeborenes oder Kleinkind überhaupt einmal das Erwachsenenalter zu erreichen; die meisten Menschen sind als Kind gestorben  Starke emotionale Bindung der Eltern an das Neugeborene und das aufwachsende Kind (heute normal und notwendig betrachtet), nicht natürlich; in der Funktion bestimmter kultureller Bedingungen zu sehen   beim Nachdenken über Phänomen der Erziehung nicht von Natur der Erziehung reden, sondern von der Kultur der Erziehung Anspruch einer universellen (kulturunabhängigen/kulturübergreifenden) Begriffsbestimmung von Erziehung ist nur durch Abstraktheit/ Inhaltsleere zu erreichen

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Bemühungen für eine allgemeine Bestimmung des Wesens der ErziehungVersuche:  Filtner: vier Betrachtungsweisen, die als ein Gefüge eines umfassenden Erziehungsbegriffes verstanden werden sollen: 1. Biologische Betrachtungsweise: „hilfsbedürftige Brut durch instinktmäßige Pflege und Hilfe der Alten am Leben erhalten“ 2. Geschichtlich-gesellschaftliche Betrachtungsweise: Erziehung dient der bewussten kulturellen Überlieferung und dient der gesellschaftlichen Eingliederung 3. Erziehung= geistige Erweckung  erzieherische Verhältnis entsteht zwischen den Menschen hinsichtlich ihrer Zuwendung zu einem Ideellen 4. Personale Betrachtungsweise: Existenz und Selbstverhältnis des Einzelmenschen in den Mittelpunkt stellen

Entscheidend: am Ende einer langen Geschichte der Kindheit und Erziehung soll die Personalität/ Personwerdung des Menschen im Mittelpunkt stehen.

Niklas Luhmann (Systemtheoretiker): Funktion der Erziehung= Menschen werden geboren. Personen entstehen durch Sozialisation und Erziehung. Wenn man diesen Unterschied vor Augen hat, liegt es nahe, die Funktion der Erziehung auf das Personwerden von Menschen zu beziehen. Besonders in komplexen Gesellschaften kann man dies nicht nur der Sozialisation überlassen.

5. Moderne: Erziehung zur Autonomie - Ziel der Erziehung in der Moderne: mit Rousseau (1983/1762) und Kant (1984/1803) in der Autonomie und Mündigkeit des Einzelnen gesehen  Wendung des Autonomiebegriffs der vormodernen, besonders in der griechischen Antike, als eine Beschreibung für Gemeinwesen, aber nicht für den Einzelmenschen - Uneinigkeit, wie und ob Autonomie durch Erziehung zu erreichen ist - Klassische Bilder/ Metaphern der Erziehung:  Wachsenlassen  Führung  Erweckung  Regierung  Zucht  Anpassung  Lebenhelfen  Begleiten - Erziehung als Verhandlung: Brunner 1995

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Erziehung als Zeigen: Prange 2005  Trotzdem kann das Konzept der Erziehung begrifflich nicht verbindlicher bestimmt werden Erziehung wird im engeren Sinne als intentional verstanden Gemeinsame Metapher der Erziehung: direkte oder indirekte technologische Vorstellung („Super Nanny“)  Grad der vorgestellten Technologiesierbarkeit von Erziehung unterscheidet die Erziehungstheorien/ Pädagogiken Anton Hügli 1999: Unterscheidung in:  Autonomiepädagogiken  Ausdruck einer modernen Perspektive  Legitimität und soziale Erwünschtheit erzieherischer Mittel und Ziele (Ziel „moralische Autonomie“)  Erziehungsmittel haben sich am Ziel der Autonomie zu orientieren  Kinder und Jugendliche werden als Person angesprochen, die erst noch (moralisch) autonom werden sollen (sind aber auch zu dieser Entwicklung schon fähig)  Kriterium der Zielerreichung: Fähigkeit, die Wünschenswertigkeit der eigenen Wünsche zu befragen  Sozial erwünschte Verhalten ist nachgeschaltet  Erzieherische Verhaltensmodifikation, die ohne das Ziel der Autonomie erreicht werden sollen, sind nicht legitim, auch wenn Internalisierung der moralischen Regeln und Prinzipien erreicht würde  Verhaltensmodifikationsstrategien bei kleinen Kindern wirksam, verlieren an Bedeutung, wenn das Kind in die Pubertät kommt  Erzieherische Strategie: bloße Auffordern zur Selbsttätigkeit  Ob in der konkreten Situation dann wirklich Folge geleistet wird, hängt u.a. von der Anerkennung der Autorität der Erziehungsperson durch das Kind oder den Jugendlichen ab!  Kontrollpädagogiken  Verhaltensänderungen, Wirksamkeit nicht vom Wollen und der Einsicht des Kindes abhängig gemacht wird/werden kann (also: keine Erziehung des Einzelmenschen kommt ohne solche Verhaltensänderungsstrategien aus, welche einen technologischen Charakter aufweisen)

Beide Gruppen: -

Ziel: erwünschtes Verhalten

6. Erziehung als Verhaltenstechnologie

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Wunsch nach effizienter Erziehung Beispiel „Super Nanny“: verhaltenstherapeutisch gefasste und wirksame Erziehungstechnologie  Elternschulungen des „Positive Parenting Programs“ /“Triple P“ = Verkaufsprodukt Ausgangspunkt: Eltern haben sich problematisches Erziehungsverhalten angewöhnt, das kaum erwünschte Wirkung zeigt und für das Kind und die Eltern belastend ist und deshalb korrigiert werden muss Eltern können durch verändertes Erziehungsverhalten das Verhalten der Kind in die gewünschte Richtung beeinflussen Programm basiert auf Prinzipien Gestaltung einer sicheren und interessanten Umgebung, das Kind zum Lernen anregen, konsequentes Verhalten, angemessene Erwartungen an das Kind haben und die eigenen Bedürfnisse aber nicht vernachlässigen

Frage: Ist Erziehung mehr als Verhaltensmodifikation? Pädagogische Tradition: Erziehung ist wesentlich mehr, der technologische Aspekt entspricht nur der fundamentalen Aufgabe der Disziplinierung  Herstellung der Ordnung dient dem Kind zu einem Aufbau von Vorhersagbarkeit und Sicherheit  Absicherung der basalen Verhaltensvoraussetzungen der Interaktion zwischen Eltern und Kind/ Lehrer und Schüler Aber: keine Reduktion der Erziehung auf Verhaltensmodifikation ! Eine Erziehung, die das Kind zu 100% so formen würde, wie es den Erziehern passt, wäre unmenschlich!!!

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Erziehungsstil: Versuch Wirkungen von Erziehung empirisch zu erfassen Hurrelmann:  Autoritärer  Autoritativ-partizipativer  Überbehüteter  Vernachlässigender  Permissiver

Frage: In welchen Situationen ist welcher Erziehungsstil allen anderen überlegen?  Fähigkeit und Sensibilität dies zu beurteilen, was genau in der Situation am besten ist wurde von Herbart „pädagogischer Takt“ genannt (1964/1802)

Kunst der Erziehung besteht im pädagogisch taktvollen Handeln. (Erziehung stellt nur begrenzt eine Technologie dar.) 7. Schlussbemerkung: Die doppelte Verantwortung in der Erziehung - Eltern müssen in der Erziehung Verantwortung für das Leben und Werden des Kindes und für den Fortbestand der Welt übernehmen  Beiden Verantwortungen würden keineswegs immer zusammenfallen; können auch im Widerspruch miteinander geraten - Eltern/Erzieher übernehmen ein doppeltes und manchmal widersprüchliches Mandat  Vom Kind aus: Eltern/Erzieher sind Anwalte der Welt  Von der Welt aus: Eltern/Erzieher sind Anwälte des Kindes  Daraus entstehende Konflikte sind elementar für moderne Formen der Erziehung!...


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