Soziologie des Geldes PDF

Title Soziologie des Geldes
Course Einführung in die spezielle Soziologie / Einführung in die Wirtschaftssoziologie
Institution Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
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Geld und Geldformen
Prof. Senge...


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Vorlesung 5 1. Was ist Geld? Geldformen Bargeld: Geldmünzen, Banknoten  in Deutschland zahlen Bürger am liebsten mit Bargeld  2014 wurden 53,2 % der Umsätze und 79,1 % aller Transaktionen bar beglichen, 2008 waren es noch 57,9 % der Umsätze und 82,5 % der Transaktionen, 2020 waren es ca. 30% aller Umsätze und 60% aller Transaktionen  2020 wurden deutschlandweit ca. 60.914 Milliarden Euro im bargeldlosen Zahlungsverkehr umgesetzt  in Europa: 858 Milliarden Euro Bargeld in Scheinen und Münzen (gegenüber 4,8 Billionen Euro Buchgeld)  der Fluss des Bargeldes kann nicht im Detail beobachtet und kontrolliert werden  bei Abbruch der Stromversorgung bleiben Zahlungen möglich (Liquiditätsmotiv)  auf gehortetes Bargeld kann kein Negativzins anfallen (Spekulationsmotiv)  kriminelle Transaktionen wie Schwarzarbeit werden häufig mit Bargeld abgegolten  Falschgeld: 2020 waren es 60.000 Noten  Abschaffung des Bargelds: führt zu Vertrauensverlust der Öffentlichkeit in den Euro und in das Finanzsystem - Einschränkung der Freiheit der Bürger Buchgeld/ Giralgeld  Buchungen auf Girokonten  entsteht, indem eine Bank einen Kredit vergibt und dem Kunden den entsprechenden Betrag auf seinem Konto gutschreibt (Giralgeldschöpfung)  Banken können die Geldmenge nicht beliebig durch Kreditvergabe erhöhen, weil sie eine Mindestreserve halten müssen  pro 1 Euro Kundeneinlage muss derzeit 1% bei der Zentralbank in Form von Zentralbankguthaben bei der EZB gehalten werden  im Bankensystem kann somit max. die 100-fache Menge des Zentralbankgeldes als  Giralgeld entstehen  Giralgeld stellt nur ein Versprechen der Banken dar, auf Verlangen Bargeld (Zentralbankgeld) auszuzahlen oder das Guthaben anderswohin zu überweisen  Giralgeld ist eine weitgehend ungedeckte Forderung, die wir an unsere Bank haben Vollgeld  Vollgeld wird von einem staatlichen Organ ausgegeben, in der Regel der Zentralbank  es existiert heute als Bargeld (Münzen und Banknoten) und vor allem als Buchgeld der Zentralbank (sog. Reserven)  solche Reserven befinden sich jedoch ausschließlich auf Konten der Banken bei der Zentralbank, nicht auf Kunden-Girokonten bei den Banken  Vollgeld ist tatsächlich vorhanden  Giralgeld dagegen stellt nur ein Versprechen der Banken dar, auf Verlangen Bargeld (Zentralbankgeld) dafür auszuzahlen oder das Guthaben anderswohin zu überweisen Regionalgeld

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lokale Währung, die innerhalb des regionalen Währungsgebiets als Zahlungs-, Investitionsund Schenkungsmittel zwischen Verbrauchern, Anbietern und Vereinen verwendet wird Ziel von Regiogeldsystemen ist es, die regionale Wirtschaft zu stärken Regionalgelder verlieren oft an Wert, wenn sie nicht ausgegeben werden die Kaufkraft bleibt in der Region, protektionistisch keine Rücktauschgarantie in den Euro Chiemgauer

2. Die soziale Funktionen des Geldes a) Geld als moralisches Symbol: Wergeld und Schuld Bernhard Laum (2019): Heiliges Geld. Über den sakralen Ursprung des Geldes. Berlin: Mathes & Seitz Geld entstand als eine Form elementarer Verpflichtung zwischen dem einzelnen und der Gemeinschaft oder dem Stamm  es diente zur Begleichung von Schulden gegenüber der Gemeinschaft  Wergeld wurde gezahlt zur Entsühnung für den Verstoß sozialer Normen und Werte  die Höhe der Strafe wurde in öffentlichen Zusammenkünften festgelegt  die Höhe bemaß sich aus der Bewertung des Verstoßes – nicht aus der Bewertung von Gütern  diese Quantifizierung knüpft an Werte innerhalb der Gemeinschaft an, wodurch soziale Verhältnisse geordnet wurden  Bart abschneiden vs. Finger abschneiden → Wergeld kennzeichnete somit eine kollektive Repräsentation eines moralischen Wertes 

b) Geld als Verrechnungseinheit und Wertaufbewahrungsmedium John Locke (1983): Über die Regierung. The Second Treatise of Government. Stuttgart: Reclam Adam Smith (2003): The Wealth of Nations. Bantam Publishers Ursprung des Geldes wird aus der Notwendigkeit erklärt, Äquivalente für Agrarprodukte zu berechnen  Selbstversorgung als ursprüngliche Form des Wirtschaftens  Schwankungen konnten zu Überfluss oder Mangel führen  Schwierigkeiten  Tauschpartner mussten am selben Ort sein (Kooperationsproblem)  Die zu tauschenden Waren mussten in der richtigen Menge verfügbar sein (Problem der Warenverfügbarkeit)  Es konnte kaum sicher gestellt werden, dass jedes paar an Waren an verschiedenen Ort denselben Wert hatte (Wertproblem) → Tausch war von großer Unsicherheit geprägt 

c) Geld als symbolischgeneralisiertes Kommunikationsmedium Talcott Parsons (1980): Zur Theorie der sozialen Interaktionsmedien. Opladen: Westdeutscher Verlag

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keine Aussage über den Grund der Entstehung, sondern über gesellschaftliche Funktion Geld als symbolisch generalisiertes Kommunikationsmdedium Fähigkeit interner Übertragbarkeit Fähigkeit der Übertragbarkeit nach außen: Integrationskraft gesellschaftliche Funktion: Geld ermöglicht die Integration von funktional differenzierten Bereichen der Gesellschaft

generalisierende Funktion des Geldes zeitlich - sichert dauerhaft wirtschaftliche Einflusschancen - jederzeit verfügbar, zeitunabhängiger bestand (vs. Inflation, Regiogeld) sachlich - als Wertmesser ist Geld neutral (alles kann in Geld angegeben werden) - Geld kann man "in jede beliebige Form gießen" (Simmel) Sozial - neutral gegenüber Personen, mit denen man tauscht - im Geldgeschäft hören Freundschaft auf, gleichgültig, ob der Marktpartner Familienmitglied, Parteimitglied ist 3. Georg Simmel: Das Geld in der modernen Kultur Verständnis der Kultur der Moderne  anhand der Analyse vieler Phänomene wie soziale Differenzierung, Affiliationen, Dankbarkeit, Henkel, Vertrauen, Geistesleben, der Streit…das Geld  mit wachsender Differenzierung breitet sich die Individualität immer stärker aus  gleichzeitig ermöglicht dies eine Nähe mit zuvor unbekannten Menschen  schwindende Bindekraft der Gruppen vor allem in den Großstädten die Rolle des Geldes im Prozess der Ausdifferenzierung moderner Gesellschaften  Geldwirtschaft wird in den Großstädten verordnet Das Geld tritt „trennend und verbindend zwischen Besitz und Besitzer …Dadurch erzeugt das Geld auf der einen Seite eine früher unbekannte Unpersönlichkeit alles ökonomischen Tuns, andererseits eine ebenso gesteigerte Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Person“ (Simmel, GSG 5:79) „So ist es schließlich das Geld, das unvergleichlich mehr Verknüpfungen zwischen den Menschen stiftet, als sie je in den von den Assoziatios‐Romantikern gerühmten Zeiten des Feudalverbandes … bestanden“ (82)  Geld schafft eine starke Bindung zwischen den Mitgliedern desselben Wirtschaftskreises: „nun arbeitet jeder für den anderen“ (82)  führt zur Unpersönlichkeit ökonomischen Tuns  und zur gesteigerten Unabhängigkeit der Personen  Die Entfaltung der Geldwirtschaft ist ein Antrieb zur Ausbildung von Individualität Geld und der Charakter des Menschen - Geld drückt das Wesen des modernen Lebens aus - der Charakter des modernen Individuums verändert sich mit der Geldwirtschaft

typische psychische Bedingungen: - kalkulierend: das Leben der Menschen wird durch Abwägen, Rechnen, Reduzieren qualitativer Werte auf quantitative ausgefüllt - asketisch/ geizig/ gierig: Wege, um Geld zu maximieren - blasiert: man reagiert auf die Eigenheiten der Objekte nicht mehr mit einer Nuancierung des Empfindens (wie viel ist es wert?) Geld als ein absolutes Mittel  Kritik: die Funktion des Geldes als Medium zur Wertaufbewahrung  im modernen Kapitalismus sind für uns nicht die Güter von absoluter Bedeutung, sondern die Maximierung des Profits  Mittelalter: Geld als Mittel, um anderes zu erlangen  Moderne: das Streben nach Geld wird zum Endzweck: absoluter Wert  Mensch wird ruhelos: „Stachel zur Tätigkeit“: Geldvermehrung ist in jedem Moment prinzipiell möglich Nivellierung durch Geld  „mit Hilfe des Geld können wir den Wert des Objektes in jede beliebige Form gießen“ (84)  „das Geld ist gemein, weil es Äquivalent für all und jedes ist“; nur das Individuelle ist vornehm“ (86)  Wieviel ist es wert? Kulturpessimismus  Geld ermöglicht Wahlfreiheit  Verlust von Nähe  Einsamkeit in der Großstadt  Anonymität...


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