Skript - Entwicklungspsychologie Kindheit PDF

Title Skript - Entwicklungspsychologie Kindheit
Course Entwicklungspsychologie - Entwicklungspsychologie des Säuglings- und Kindesalters
Institution Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
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Skript - Entwicklungspsychologie Kindheit...


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Kurzskript Entwicklungspsychologie des Kindesalter

Vorbereitung Vordiplomsprüfung

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Übersicht (an Vorlesung WS 08/09 orientiert)

Entwicklungspsychologie des Kindes- und Jugendalters 1) Der Entwicklungsbegriff & Geschichte der Entwicklungspsychologie

S. 2

2) Determinanten der Entwicklung

S. 9

3) Die Methoden der Entwicklungspsychologie

S. 13

4) Die geistige Entwicklung im Kindesalter nach Piaget

S. 30

5) Die geistige Entwicklung im Säuglingalter (neue Ansätze)

S. 43

6) psychometrische Intelligenz

S. 48

7) Moralentwicklung

S. 50

8) Wahrnehmungsentwicklung

S. 58

9) Gedächtnisentwicklung

S. 66

10) Sprachentwicklung

S. 76

11) Bindung

S. 89

Wissen und Pathologische Verläufe fehlt!

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Vorbereitung Vordiplomsprüfung

1) Der Entwicklungsbegriff & Geschichte der Entwicklungspsychologie I) Gegenstand und Aufgaben der Entwicklungspsychologie Definition Entwicklung: allgemeine, umfassende Bezeichnung für im Verlauf der Zeit fortschreitende, geordnete Folgen von Veränderungen äußerer Merkmale, Funktionen und/oder innerer Strukturen, wodurch sich Ausgangs- und Endzustand in Form, Quantität, Inhalt und/oder Qualität voneinander unterscheiden. Im psychologischen Sinn gilt Entwicklung als geordnete, zeitlich gerichtete, irreversible Folge von Veränderungen. Dabei werden verschiedene Entwicklungsstufen unterschieden, die zum Zwecke der Analyse und des Vergleichs an das Lebensalter gebunden sind. Basale Fragen der EP 1. Wie ist die Bedeutung von Anlage und Umwelt für die Entwicklung? 2. Formen Kinder ihre Entwicklung? 3. Verläuft Entwicklung kontinuierlich oder diskontinuierlich? 4. Wie kommt es zu den Entwicklungsveränderungen? 5. Wie ist die Bedeutung des sozio-kulturellen Kontexts für die Entwicklung? 6. Wie kommen interindividuelle Unterschiede zustande? 7. Wie kann Forschung das Kindeswohl fördern? „Die Entwicklungspsychologie (EP) beschäftigt sich mit der Beschreibung, Erklärung und Veränderung (Modifikation, Optimierung) psychischer Phänomene im Verlauf der Ontogenese“ Zeitraum: Ontogenese Ziele: - beschreiben - erklären - beeinflussen/verändern/optimieren Beeinflussung ein Entwicklungsphänomen wird gezielt herbeigeführt. Derartige Eingriffe (Interventionen) sind dann sinnvoll, wenn Fehlentwicklungen verhindert (Prävention) oder bereits eingetretene Fehlentwicklungen korrigiert werden sollen (Korrektur). Die Beeinflussung von Entwicklungsprozessen setzt voraus, dass: 1. die zugrunde liegenden Bedingungen bekannt sind 2. eine Manipulation der relevanten Entwicklungsbedingungen möglich ist

Beispiel einer Intervention Phenylketonurie = Genetisch bedingter Enzym-Defekt, der zu einem Phenylalalin-Überschuss führt und in einer geistigen Behinderung resultiert. Durch phenylalalin-arme Diät kann das Auftreten der geistigen Behinderung verhindert werden. (= Spezielle Ernährungsinterventionen zur Verhinderung einer kognitiven Behinderung) Arten von Veränderungsreihen Unter dem Entwicklungsaspekt lassen sich je nach Größe des interessierenden Zeitraumes mindestens 4 Veränderungsreihen unterscheiden: 1. Phylogenese 2. Anthropogenese

Stammesentwicklung, umfasst die gesamte biologische Evolution von den Protozoen bis hin zum Menschen der Teil der Phylogenese, der die Entwicklung des Menschen

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beinhaltet

3. Ontogenese

Individualentwicklung, umfasst die Entwicklung eines Menschen von der Konzeption bis zum Tod

4. Aktualgenese

oder Mikrogenese umfasst den Zeitraum, indem kurzzeitige Wahrnehmungsvorgänge und unter Umständen ausgedehntere Handlungsfolgen (Problemlöseverhalten) ablaufen ( gehört in den Bereich der Allgemeinen Psychologie)

Die Entwicklungspsychologie befasst sich mit den Veränderungen des Verhaltens und Erlebens während der Ontogenese. Obwohl sich die Lebensspannen-Orientierung als Entwicklungszeitraum des Menschen weitgehend durchgesetzt hat, stehen immer noch die Entwicklungsprozesse des Kindes- und Jugendalters im Vordergrund. Dies hängt mit den wesentlichen Merkmalen zusammen, die Veränderungen aufweisen müsse, um als Entwicklung begriffen zu werden (Starke Veränderungen in kurzen ontogenetischen Abschnitten) Wesentliche Merkmale von Entwicklung: - Veränderungen treten mit einer relativ großen Geschwindigkeit ein - die Phänomene treten zum ersten Mal auf - Differenzen zwischen Altersgruppen sind auffällig größer als innerhalb der Altersgruppen - die Veränderungen beinhalten eine hohe Zunahme an Quantität oder Qualität - sie wirkt sich dauerhaft auf das spätere Verhalten aus - das Zustandekommen einer Veränderung ist unter theoretischem Aspekt bedeutsam weitere Gründe für zentrales Interesse an Kinderpsychologie: 1. Historische Gründe (z.B. Tagebücher werden geführt; z.B. Wilhelm Preyer, 1882, „Die Seele des Kindes“) 2. Einfluss der Pädagogik, der Politik 3. Theoretisches Interesse am Kindsein Die Einteilung der Zeitstrecke In der Entwicklungspsychologie ist es üblich, das Zeitkontinuum der Ontogenese nach dem chronologischen Alter in einzelne Abschnitte (Stufen, Phasen) zu unterteilen. Das chronologische Alter einer Person ist nicht nur leicht festzustellen, sondern es korreliert auch mit der Ausprägung zahlreicher Verhaltensmerkmale. Merkmalsänderungen werden dann als entwicklungsbedingt angesehen, wenn sie in einer regelhaften Weise auf das Alter bezogen werden können. Diese klassische Sicht der Veränderungen in Abhängigkeit vom Lebensalter V= f(A) hat drei wesentliche Nachteile: 1. Alter hat keinen Erklärungswert 2. Alter vernachlässigt interindividuelle Unterschiede (Variation innerhalb Altersgruppe) 3. Altersvariation heißt nicht zwangsläufig Bindung an das Lebensalter (Einfluss durch vorprogrammierte Reifungsprozesse oder bestimmte Umweltbedingungen) Auch der Begriff Zeit erklärt nichts, im Unterschied zu echten Entwicklungsfaktoren, sondern ist nur ein Medium, in dem sich Entwicklungsprozesse abspielen.

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Davon abgesehen hat aber das Konzept von Änderungen über die Zeit eine Reihe von Vorteilen: 1. Der Zeitbegriff verdeutlicht, dass es sich hierbei um eine physikalische Größe handelt, um ein Medium, in dem sich Prozesse abspielen, die zum Zwecke von Veränderungen erst aufzudecken sind. 2. Der Begriff Zeit ist frei von impliziten Hypothesen über eine Reifungsabhängigkeit der Entwicklung. 3. Alter ist ein Merkmal des sich verändernden Individuums. → Auf der Zeitdimension können sowohl Veränderungen des Individuums, als auch der Umwelt leichter abgebildet werden. 4. Zeit ist der weitere, Alter der engere Begriff. → Soweit eine Altersgebundenheit von Veränderungen vorliegt, lässt sich die Zeitstrecke ohne weiteres in Altersabstände einteilen Enger (traditioneller) versus weiter Entwicklungsbegriff Die traditionelle, an biologischen Wachstums- und Reifeprozessen orientierte Entwicklungskonzeption betrachtet den menschlichen Organismus als ein in sich geschlossenes System mit einer klar umrissenen Struktur und einer bestimmten Menge von schon existierenden Fähigkeiten. Der Begriff Entwicklung wird hier nur auf Veränderungen angewandt, die die folgenden Merkmale aufweisen: (nach WOHWILL) 1. Gerichtetheit Die Veränderungen verlaufen in eine Richtung auf ein Ziel (Reifezustand) hin. In der Regel handelt es sich um Aufbauprozesse, wobei das Endniveau als höherwertig verstanden wird. 2. Irreversibilität Der Ablauf der Veränderungen gilt als fest vorgegeben und nicht umkehrbar. 3. Universalität Die Veränderungen treten bei allen Menschen weitgehend unabhängig von unterschiedlichen Umweltgegebenheiten in gleicher Form auf. Interindividuelle Unterschiede zeigen sich höchstens in der Entwicklungsgeschwindigkeit oder des erreichten Endniveaus. 4. qualitativ-strukturelle Transformation Die Veränderungen lassen sich nicht rein quantitativ darstellen. einige Veränderungen werden von dem engen Entwicklungsbegriff nicht abgedeckt → z.B. kulturabhängige und interindividuelle Unterschiede berufliche Interessen, Gewinnung einer persönlichen Identität werden nicht thematisiert Die große Mehrheit der Entwicklungspsychologen hält es daher nicht für angemessen, wegen des Nichtzutreffens einzelner Kriterien der engen Entwicklungsdefinition bestimmte Untersuchungsgegenstände aus der Entwicklungspsychologie auszuschließen Der weite Entwicklungsbegriff umfasst daher sämtliche ontogenetischen Veränderungen, die relativ überdauernd sind, einen geordneten inneren Zusammenhang aufweisen und mit dem Lebensalter (Zeitkontinuum) in einer mehr oder weniger engen Beziehung stehen. Entwicklung beinhaltet überdies sowohl den Prozess als auch das Produkt fortschreitender Veränderungen. Was ist eine Entwicklungstheorie? PATRICIA MILLER (1993) 1. Eine Entwicklungstheorie beschreibt die im Laufe der Zeit eintretenden Veränderungen in einem oder mehreren Verhaltensbereichen oder einer psychischen Aktivität, wie etwa Denken oder Wahrnehmung. 2. Eine Entwicklungstheorie hat die Aufgabe zu beschreiben, welche Veränderungen im Laufe der Zeit in der

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Beziehung zwischen verschiedenen Verhaltensweisen auftreten. 3. Eine Entwicklungstheorie muss den Verlauf von Entwicklungsprozessen erklären. KREPPNER (1998) In jeder Theorie gibt es eine - Ausgangsvorstellung - Zeitvorstellung - Entfaltungs- oder Aneignungsvorstellung - Einflussvorstellung, d.h. eine Ansicht darüber, wie der Entfaltungs- oder Aneignungsprozess beeinflusst werden kann - Zielvorstellung, d.h. die Vorstellung des „idealen Menschen“.

Entwicklungspsychologie und andere psychologische Teildisziplinen Die Entwicklungspsychologie ist mit anderen psychologischen Teilbereichen eng verflochten: 1. Enge Verflechtung mit der Allgemeine Psychologie - Erforschung psychologischer Geschehen (Denken und Wahrnehmen) beim normalen Erwachsenen → Liefert Orientierungsgröße für EP AP und EP gleiche Methoden. 2. Pädagogische Psychologie - Optimieren von Lernen, hierzu kann die EP wichtige Erkenntnisse liefern. - zeigt auf, welche Voraussetzungen gegeben sind 3. Sozialpsychologie - soziale Interaktion wie die EP, wobei EP den Aspekt der Entwicklung betont - ähnliche Methoden wie in Entwicklungspsychologie, Verknüpfung ist bidirektional 4. Entwicklungspsychologie + Praxis - Entwicklungsstand feststellen und beratend wirken, um eine Optimierung von Entwicklungsverläufen zu erreichen. II) Geschichte der Entwicklungspsyhologie Die Entstehung eines Entwicklungsdenkens Vorwissenschaftliche Phase • Schon die Philosophen des Altertums (z.B. Platon, Aristoteles) unterteilten den Lebenslauf nach Altersstufen und erörterten Vor- und Nachteile der einzelnen Lebensphasen. - Für Platon war der Mensch von Natur aus gut, bei schlechter Erziehung könnte jedoch eine Entwicklung zum Schlechten eintreten. - Aristoteles stellte heraus, dass Menschen von Natur aus verschieden sind, nicht alle sprechen gleich auf Erziehung an. Auch Aristoteles empfahl, Kinder so zu erziehen, dass sie konstruktive Mitglieder der Gesellschaft werden, betonte aber gleichzeitig den Schutz der Privatsphäre und Individualität. • Weder in der Antike noch im Mittelalter wurde der Entwicklungsgedanke differenziert ausgearbeitet. • Im Mittelalter: Entwicklungsromane; These von Ariès: Grenze Kind/Erwachsener deutlich früher: ca. 7 Jahre) • Ab dem 17. Jhd. Entwicklungsbegriff in der Philosophie: - John Locke (tabula rasa, plädierte dagegen Kinder wie kleine Erwachsene zu behandelt) - J.J. Rousseau – Erziehungsroman ,,Emile“ als Meilenstein Weitere wichtige Vorläufer: Johann Nikolaus Tetens (1738-1807) - Suche nach allgemeinen Entwicklungsgesetzen - schlug Anwendung der Beobachtungsmethode vor - sah u.a. Erziehung, Übung u. Vorbilder als wichtige Entwicklungsdeterminanten

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Dietrich Tiedmann (1748 – 1803) - Beginn der systematischen auf Beobachtungstechnik gegründeten längsschnittlichen Erfassung der Verhaltensentwicklung von jungen Kindern (Beobachtungen 1781 - 1784 an seinem Sohn) - er erfasste Motorik, Sinnesleistungen, Affekte, Sozialverhalten, Sprechen, Denken Adolphe Quetelet (1796 – 1874) - führte die empirisch-statistische Methode in die Entwicklungspsychologie ein - Erfassung des statistischen Durchschnittsmenschen - fasste die, in Altersgruppen im Querschnitt gewonnenen Daten in Diagrammen zusammen und gelangte so zu "Entwicklungsverläufen" der interessierenden Variablen über die Lebensspanne - erkannte einige Probleme der Querschnitts- und Längsschnittmethode und war sich des historischen Wandels von Entwicklungsbefunden bewusst.

Im naturwissenschaftlichen Denken des 19. Jahrhunderts konkurrierten dann 3 Bedeutungen von Entwicklung miteinander: 1. Präformation: Entwicklung ist die Ausfaltung eines bereist keimhaft angelegten zu seiner Endgestalt. 2. Epigenese: Entwicklung ist ein fortschreitendes Geschehen, bei dem durch eine besondere Lebenskraft aus der zunächst strukturlosen organischen Substanz Qualitäten geschaffen werden. 3. Deszendenztheorie: Entwicklung ist das Hervorgehen einer Vielzahl von Varietäten aus einem einheitlichen Ursprung. Alle sehen jedoch Entwicklung als streng gesetzliches, von inneren Wachstumsimpulsen und äußeren Wachstumsbedingungen gesteuertes, an eine bestimmte Reihen- und Zeitfolge gebundenes Geschehen. Wissenschaftliche Phase Die Anfänge einer wissenschaftlichen Entwicklungspsychologie Zwei Dinge waren für das Aufkommen einer erfahrungswissenschaftlich orientierten Entwicklungspsychologie von besonderer Bedeutung: 1) die Evolutionstheorie Darwins 2) die umfangreichen Tagebuchaufzeichnungen von Beobachtungen an Kleinkindern 1. In seinen beiden Schriften Über den Ursprung der Arten (1859) und Über die Abstammung des Menschen (1871) legte DARWIN seine Grundgedanken zu den Gesetzesmäßigkeiten der Evolution der Arten dar: - Die biologische Evolution ist im Wesentlichen das Ergebnis eines langwierigen Selektionsprozesses. Die Funktion der Umwelt besteht dabei ausschließlich darin, die geeigneten Erbvarianten auszuwählen. Darwins Gedanken über die Evolution der Arten als der Entwicklung von einfachen zu immer komplexeren Formen des organischen Lebens regten zu Forschungen an, Licht auf den Ablauf und die Gesetzmäßigkeiten der Phylogenese zu werfen. So sollte die Erforschung der Individualentwicklung des Menschen (Ontogenese) Aufschluss über die Stammesentwicklung (Phylogenese) geben. Haeckel (1866) zeigte die Bedeutung des Vergleichs von Ontogenese und Phylogenese in der Formulierung des biogenetischen Grundgesetzes: Die Keimesgeschichte wiederholt (rekapituliert) die Stadien der Stammesgeschichte noch einmal in abgekürzter Form. Durch die Entstehung der wissenschaftlichen Entwicklungspsychologie aus der Biologie dominierte

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lange Zeit die Auffassung der menschlichen Entwicklung als biologisch vorprogrammierte Entfaltung. 2. Die Beobachtungen an Kleinkindern stellt der eigentliche Beginn der wissenschaftlichen Entwicklungspsychologie dar. Als Markstein kann Wilhelm Preyers Die Seele des Kindes (1882) angesehen werden. Sein Buch regte zu einer intensiven, auf Beobachtung gegründeten Kinderforschung an. → Kindertagebücher Ab diesem Zeitpunkt entstanden eine Reihe von Materialsammlungen zur kindlichen Entwicklung, u.a. Clara und William Stern (1907, 1914), Jean Piaget (1936, 1937, 1945). • • •

wiesen aber wesentliche methodische Mängel auf es fehlte weitgehend an Bemühungen zur theoretischen Einordnung und Interpretation der erhobenen Beobachtungsdaten Forscher waren stärker an Einzelpersonen interessiert

ARNOLD GESELL legte später (1940, 1954) die wohl umfangreichste Sammlung von Daten zur kindlichen Entwicklung bis ins Jugendalter vor. Diese war wesentlich systematischer angelegt und erhob Entwicklungsnormen für alle möglichen Verhaltensbereiche.

Die weitere Ausbreitung der wissenschaftlichen Entwicklungspsychologie Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts nahm die Entwicklungspsychologie einen raschen Aufschwung als wissenschaftliche Disziplin. Noch stärker als zu Beginn stand die Erforschung des Kindesalters im Vordergrund. In engem Zusammenhang dazu stand die Entwicklung und Verbesserung psychologischer Untersuchungsmethoden. Es kam zur Gründung zahlreicher Periodika; die Entwicklungspsychologie konnte sich an vielen Universitäten etablieren; die klinische Praxis in Amerika gab weitere Anstöße zur Beschäftigung mit Entwicklungsproblemen. Hauptströmungen der Entwicklungspsychologie im 20. Jahrhundert 1. Die deskriptiv-normative Entwicklungspsychologie a) Phasenbeschreibung b) Altersnormen, z.B. B. A. Gesell: Altersnormen für verschiedene Bereiche c) Sequenzregeln: Suche nach Sequenzregeln für Entwicklung

2. Entwicklungstests (Bühler & Hetzer): Entwicklung von Messskalen für verschiedene Funktionsbereiche → Alterverlaufskurven 3. Suche nach Kontinuität und Diskontinuität in Längsschnittstudien (kontinuierliche Messungen von Entwicklung) 4. Experimentelle Kinderpsychologie (Messung von Verhalten in Experimenten; UrsacheWirkungs-Zusammenhänge) 5. Erziehungs- und Sozialisationsforschung, Höhepunkt in den 40ern (Lebensbedingungen und Entwicklung; Korrelationen – keine kausalen Beziehungsaussagen; Mittelpunkt: Erziehungsstile) 6. Entwicklungsauswirkungen von Interventionen und Ereignissen 7. Entwicklungsstörungen (Erkenntnisse über Entwicklungsbedingungen) Gegenwärtige Trends – Es besteht das Bestreben, anstelle relativ globaler Einflussgrößen (z.B. elterlicher Strenge) die in den Interaktionsprozessen tatsächlich wirksamen Faktoren differenzierter zu erfassen. – In den 70er und 80er Jahren hat sich die Lebensspannenorientierung stärker durchgesetzt. – Die Tendenz hat sich verstärkt, das Verhalten sich entwickelnder Individuen nicht nur als abhängige sondern

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auch als unabhängige Variable zu betrachten, die die Art der erfahrenen Stimulation wesentlich mitbestimmt. Der Einfluss der allgemeinpsychologisch fundierten Kognitionswissenschaft wird immer stärker. Die Informationsverarbeitungsansätze sind für die Entwicklungspsychologie wichtig geworden. Berücksichtigung des ökologischen Kontextes von Entwicklungsprozessen Aufwertung der Längsschnittmethode Das Phänomen differentieller Entwicklungsverläufe Historischer Wandel von Entwicklungsphänomenen (im Zusammenhang mit der Substanz der Variablen Lebensalter und Kohorte)

Etablierung der Entwicklungspsychologie an verschiedenen Universitäten • G. Stanley Hall (1844-1924); 1884 Prof. of psychology and pedagogics at Johns Hopkins University; Erste Fragebogenerhebungen mit Kindern; psychogenetisches Grundgesetz: Individualentwicklung und Stammesentwicklung sind verschränkt– z.B. Atavismen. Atavismen sind Reflexe, die ihre ursprüngliche Funktion verloren haben, aber in früheren stammesgeschichtlichen Phasen eine Rolle spielten (z.B. Moro-Reflex; Babinski-Reflex)



Alfred Binet (1857-1911); 1889 Mitbegründer des ersten psychologischen Forschungslabors in Frankreich/Paris; erste Verfahren zur Intelligenzdiagnostik mit Kindern



William Stern (1871-1938); Mitbegründer der Universität Hamburg; Begründer der Differentiellen Psychologie (1911); gemeinsam mit seiner Frau verfasste er sehr bekannt gewordene Tagebücher zur Kindersprache, in denen er die Sprachentwicklung der drei Kinder Hilde, Günther und Eva i...


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