Textkompetenz und Aufgabenorientierung im Fremdsprachenunterricht In: Freudenberg-Findeisen Renate (Hrsg.) PDF

Title Textkompetenz und Aufgabenorientierung im Fremdsprachenunterricht In: Freudenberg-Findeisen Renate (Hrsg.)
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Ilona Feld-Knapp Textkompetenz und Aufgabenorientierung im Fremdsprachenunterricht 1. Einleitung Im Zuge des ‚modernen‘ kommunikativen Fremdsprachunterrichts wird die Förderung des strukturierten und reflektierten Umgangs mit Texten und In- halten sowie der Textkompetenz in ihrer Wichtigkeit sehr hä...


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Textkompetenz und Aufgabenorientierung im Fremdsprachenunterricht In: Freudenberg-Findeisen Renate (Hrsg.) Ilona Feld-Knapp

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Ilona Feld-Knapp Textkompetenz und Aufgabenorientierung im Fremdsprachenunterricht 1.

Einleitung

Im Zuge des ‚modernen‘ kommunikativen Fremdsprachunterrichts wird die Förderung des strukturierten und reflektierten Umgangs mit Texten und Inhalten sowie der Textkompetenz in ihrer Wichtigkeit sehr häufig vernachlässigt. Diese Förderung der Textkompetenz im Fremdsprachenunterricht wird in der Fremdsprachendidaktik im Kontext des sprachlichen Handelns diskutiert. Im vorliegenden Beitrag wird gezeigt, welche Potenziale die Textkompetenz für die Entwicklung der sprachlichen Handlungsfähigkeit im aufgabenorientierten Fremdsprachenunterricht beinhaltet und wie diese Potenziale bei der Umsetzung verschiedener Lehr- und Lernziele genutzt werden können, um dem textorientierten Fremdsprachenunterricht Rechnung zu tragen (vgl. Feld-Knapp 2014a, b). Zunächst werden die wichtigsten Kritikpunkte in Bezug auf didaktische Konzepte zur Förderung der sprachlichen Handlungsfähigkeit im fremdsprachlichen Unterricht aufgegriffen. Danach werden die Begriffe der Textkompetenz und des aufgabenorientierten Ansatzes in ihrer Bedeutung für das Lehren und Lernen von Fremdsprachen behandelt. Anschließend wird der Prozess der Aufgabenstellung im Hinblick auf die Förderung der Textkompetenz am Beispiel eines fachdidaktischen Seminars für Lehramtsstudierende vorgestellt. Den Beitrag schließt ein Fazit ab.

2.

Zur Förderung der sprachlichen Handlungsfähigkeit im Fremdsprachenunterricht

Für die Optimierung der didaktischen Schritte im fremdsprachlichen Unterricht gibt es verschiedene Ansätze. Sie sind einerseits durch unser Verständnis von Unterricht, andererseits durch unsere Vorstellungen davon geprägt, was Sprache und Lernen sind und welches Modell wir vom Sprachlernprozess haben (vgl. Feld-Knapp 2014a, b). 245

Ilona Feld-Knapp

Dem Fremdsprachenunterricht im Sinne des kommunikativen Ansatzes liegt ein Sprachbegriff zugrunde, der Sprache als soziales Handeln auffasst. Der sprachlichen Handlungsfähigkeit wurde schon in der audiolingualen und in der ersten sogenannten pragmatischen Phase der kommunikativen Didaktik eine zentrale Rolle zugeschrieben, die Lernenden wurden auf den Gebrauch der alltäglichen Kommunikation vorbereitet. Dabei wurden jedoch die sprachlichen Fertigkeiten häufig als Kommunikationstechniken konzeptualisiert und im Fremdsprachenunterricht instrumentalisiert (vgl. Thonhauser 2008: 93). So wurde für ihre Förderung das Konzept des Fertigkeitstrainings erarbeitet. Die sprachlichen Fertigkeiten wurden im Sinne dieses didaktischen Modells nach den unterschiedlichen Modalitäten des Sprachgebrauchs (mündlichschriftlich/rezeptiv-produktiv) aufgeteilt, dabei wurden aber die einzelnen Fertigkeiten jeweils für sich betrachtet und dementsprechend im Unterricht meist isoliert durch Wiederholungen gefördert. Ausgehend von der Annahme, dass Hören leichter als Sprechen und Lesen leichter als Schreiben ist, wurden die einzelnen Fertigkeiten in eine Progression gestellt. Rückblickend werden diese Form der Progression und die Isolation der einzelnen Fertigkeiten sprachlerntheoretisch als besonders problematisch betrachtet und in Frage gestellt. Einen wichtigen Anstoß für die Optimierung der Förderung der sprachlichen Handlungsfähigkeit gab in den 1990er Jahren der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen (GER; vgl. Europarat 2001). Der GER bietet statt linearen Fertigkeitstrainings ein neues Modell kommunikativer Funktionen an: Rezeption und Produktion werden als zentrale Aktivitäten genannt, denen Interaktion und Mediation zu- und nachgeordnet werden (vgl. Fandrych/Thonhauser 2008: 7). Der GER beschreibt also die kommunikativen sprachlichen Kompetenzen in ihrer Bedeutung für kommunikative Grundfunktionen und kommunikative Sprachaktivitäten. Die kommunikative Sprachkompetenz eines Lernenden oder Sprachverwenders wird dementsprechend im Unterschied zum Fertigkeitskonzept in verschiedenen kommunikativen Sprachaktivitäten beschrieben, die Rezeption, Produktion, Interaktion und Sprachmittlung (insbesondere Dolmetschen und Übersetzung) umfassen, wobei jeder dieser Typen von Aktivitäten in mündlicher oder schriftlicher Form oder in beiden Formen vorkommen kann. Rezeption und Produktion (mündlich und/oder schriftlich) sind ganz offensichtlich primäre Prozesse, weil beide bei der Interaktion benötigt werden (vgl. Europarat 2001: 25 f.). Die Inhalte des GER wurden in unterschiedlichen Kursen und bei unterschiedlichen Zielgruppen methodisch angepasst und umgesetzt. 246

Textkompetenz und Aufgabenorientierung im Fremdsprachenunterricht

Dennoch stellt diese neue Beschreibung und Auffassung von sprachlichen Fertigkeiten als Sprachhandlungen und damit die Abkehr vom didaktischen Modell des linearen Fertigkeitstrainings zwar einen wichtigen Schritt im Dienste der Optimierung der Förderung der sprachlichen Handlungsfähigkeit dar; das Problem der isolierten Behandlung der Fertigkeiten als sprachliche Kompetenzen im Hinblick auf die ganzheitliche Förderung der sprachlichen Handlungsfähigkeit der Lernenden ist so jedoch noch nicht aufgehoben. Die Isolation bedeutet, dass die Fertigkeiten weiterhin voneinander unabhängig, somit getrennt gefördert und behandelt und nicht in den soziokulturellen Kontext der kommunikativen Praxis eingebettet werden. Ein weiterer Punkt, der nicht nur den Fremdsprachenunterricht betrifft, ist der isolierte Umgang mit Unterrichtsinhalten ohne strukturelle Reflexion und Rückmeldung. Denn das Lernen zu lernen und Spaß daran zu haben bedeutet auch, sich strukturiert und selbstständig den Lerngegenstand erarbeiten zu können (entsprechende Grundfertigkeiten vorausgesetzt), ihn in seiner Richtigkeit zu überprüfen und weiter darüber zu reflektieren. Dieser Denkprozess der Lernenden, ihre Neugier, ihr Wille, sich verbessern zu wollen, kann nur unter diesen Umständen offengehalten werden. Die Isolation bedeutet auch in einer anderen Hinsicht ein Problem. Der GER will zu einem Fremdsprachenunterricht anregen, der zur Verwirklichung der Förderung der Mehrsprachigkeit beiträgt. Dieses Ziel bleibt jedoch eine bloße Deklaration, denn der GER fokussiert auf den Unterricht einzelner Sprachen; auf andere Sprachen, auf die Vorkenntnisse der Lernenden in anderen Fremdsprachen wird nicht systematisch Bezug genommen (vgl. Bausch/Christ/ Königs/Krumm 2003). Bei der integrierten Behandlung der sprachlichen Kompetenzen und bei der Befähigung für den Umgang mit textbasiertem mündlichem Gebrauch von Sprache kann von Anfang an die Fähigkeit der Textkompetenz genutzt werden, die im GER nur marginal behandelt wird. Zunächst werden ausschließlich solche sprachlichen Kompetenzen genannt, die für die Behandlung alltagsorientierter Inhalte im mündlichen Bereich genutzt werden können. Die Befähigung zum textbasierten mündlichen Gebrauch von Sprache, der Textkompetenz voraussetzt, wird nämlich erst ab Niveaustufe B2, nicht von Anfang an angestrebt (vgl. Krumm 2007: 200).

247

Ilona Feld-Knapp

3.

Textkompetenz und Aufgabenorientierung im Fremdsprachenunterricht

Textkompetenz wird in der Fremdsprachendidaktik als eine individuelle Fähigkeit beschrieben, die Strategien für den reflektierten Umgang mit schriftsprachlich geprägter Sprache umfasst. Der reflektierte Umgang mit der Sprache zielt auf das inhaltliche Verstehen sowie auf das Verarbeiten von Gedanken beim Lesen und Schreiben von Texten. „Textkompetenz schließt die Fähigkeit ein, Texte für andere herzustellen und damit Gedanken, Wertungen und Absichten verständlich und adäquat mitzuteilen.“ (Portmann-Tselikas 2005: 2) Unter bildungsinstitutionellen Bedingungen verfolgt die Förderung von Textkompetenz das Ziel, Fähigkeiten zu entwickeln, Texte reflektiert lesen, schreiben und zum Lernen nutzen zu können (vgl. Portmann-Tselikas 2002: 14, Portmann-Tselikas/Schmölzer-Eibinger 2008: 5). Textkompetenz ist ein neuer Begriff der Fremdsprachendidaktik, der mit dem etablierten Begriff der Sprachkompetenz, der durch die kommunikative Didaktik eingeführt wurde, nicht gleichzusetzen ist. Durch die Einführung der Textkompetenz bei der Optimierung von Lehr- und Lernprozessen beim Fremdsprachenlernen wird das Interesse auf die kognitive Sprachverarbeitung gelenkt, deswegen hat der Begriff der Textkompetenz einen Mehrwert für den Fremdsprachenunterricht. Sie stellt einen eigenständigen Kompetenzbereich dar (vgl. Portmann-Tselikas 2002: 16). Textkompetenz umfasst ein ganzes Bündel an Teilkompetenzen, die in Sprachverarbeitungsprozessen miteinander interagieren und in diesen Prozessen genutzt und realisiert werden. Zu den zentralen Teilkomponenten von Textkompetenz zählt unter anderem die Fähigkeit, inhaltliche Bezüge innerhalb eines Textes herzustellen (= Kohärenzkompetenz) oder unterschiedliche Lese- und Schreibstrategien zu nutzen, um einen Text verstehen, verarbeiten, ausarbeiten und strukturieren zu können (= strategische Kompetenz). Das sind sprachübergreifende Kompetenzen, die zwischen den Sprachen transferierbar sind (vgl. SchmölzerEibinger 2008: 52). Wege zur Förderung der beiden Teilkompetenzen durch Aufgaben werden untenstehend anhand eines Beispiels vorgestellt. An dieser Stelle soll darauf hingewiesen werden, dass der Begriff der Textkompetenz in verschiedenen Bereichen außerhalb des Fremdsprachenunterrichts diskutiert wird und unterschiedliche Herangehensweisen genannt werden (Adamzik 2009: 260 ff.). Auf diese fachwissenschaftliche Diskussion wird im Beitrag nicht näher eingegangen. Aufgaben sind Kernelemente des Unterrichts, durch Aufgaben können die Lehrkraft, die Lernenden und der Lerngegenstand miteinander in Kontakt 248

Textkompetenz und Aufgabenorientierung im Fremdsprachenunterricht

kommen (Krumm/Portmann-Tselikas 2006:11). Aufgaben haben verschiedene Dimensionen, aus denen Kriterien für die Beurteilung der Qualität von Aufgabenstellungen abgeleitet werden können. Nach Portmann-Tselikas müssen Aufgaben folgenden Kriterien gerecht werden: Die Aufgabe muss dem Kenntnisstand der Lernenden und den Rahmenbedingungen des Unterrichts entsprechen. Die angestrebten Lernziele müssen durch die Aufgabe auch wirklich thematisiert bzw. erarbeitet werden können. Die Aufgabe soll dem Wissen über das Lernen im Allgemeinen und über das Lernen in den thematisierten Bereichen im Besonderen Rechnung tragen. Sie soll adressatengerecht angelegt und formuliert sein (vgl. Portmann-Tselikas 2006: 183). Die Aufgabenorientierung an sich gilt auch als neues Designkonzept der Fremdsprachendidaktik (Portmann-Tselikas 1997: 220), zu der gleichfalls keine einheitliche Auffassung vorhanden ist, aber eine Reihe seiner Vertreter stimmt darin überein, dass der aufgabenorientierte Ansatz „sich gegen einen formorientierten Fremdsprachenunterricht wendet und sich am ‚realen‘ kommunikativen Sprachgebrauch orientiert“ (Bredella 2006: 18). Krumm schreibt der pädagogischen Sicht auf Aufgaben für das Sprachenlernen eine zentrale Rolle zu: „Aus dieser Sicht stellen Aufgaben eine Arbeitsform dar, die im Gegensatz zu lehrerzentrierten Arbeitsformen im Wesentlichen als eine Aktivitätsform der Lernenden verstanden wird: Beim Bearbeiten und Lösen einer Lernaufgabe mobilisieren die Lernenden ihre sprachlichen Ressourcen, erproben und entwickeln auch soziale Kompetenzen (z. B. die Kooperation) und erhalten bei Lösung der Aufgabe ein positives Feedback. In diesem Sinne sind Aufgaben ganz unmittelbar mit handlungsorientierten Unterrichtskonzepten und dem Konzept der Lernerautonomie verbunden.“ (Krumm 2006: 123)

Allerdings muss hinzugefügt werden, dass positives Feedback nicht als bloßes Lob der Person missverstanden werden sollte, sondern vielmehr im Sinne einer konstruktiven und fördernden Kritik zu verstehen ist. Aufgabenorientierung im Fremdsprachenunterricht bedeutet demnach, dass eine Aufgabe als eine inhaltlich und sprachlich abgeschlossene Lernaktivität gilt, die sprachliches Handeln erfordert. Die zur Erreichung der Lehrund Lernziele benutzte Sprache muss vor allem bedeutungstragend sein (vgl. Burwitz-Melzer 2006: 25 ff., Boócz-Barna 2012: 117 ff.). Im Sinne des aufgabenorientierten Ansatzes geht es damit um einen erweiterten Aufgabenbegriff, der sich vom Konzept des GER unterscheidet (vgl. Eu249

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roparat 2001: 153). Durch den GER wird ein Fremdsprachenunterricht initiiert, der sich auf den Ausbau einzelner Fertigkeiten fokussiert und Aufgaben dementsprechend bestimmt, um Bildungs- und Prüfungsinhalte zu standardisieren. Aufgaben sollten dagegen so gestellt werden, dass ihre Bewältigung jeweils relevante sprachliche Fertigkeiten ins Spiel bringt und eventuell erweitert (vgl. Thonhauser 2008: 94). Die Förderung der Textkompetenz kann über gezielte Aufgaben erfolgen, wobei die Lernenden auf ihre schon vorhandene Textkompetenz angewiesen sind, denn Aufgaben müssen zur erfolgreichen Bewältigung erst einmal verstanden werden. Die Förderung der Textkompetenz kann folglich gar nicht isoliert stattfinden, denn dabei werden die Vorkenntnisse der Lernenden aus ihren schon erworbenen oder gelernten Sprachen, vor allem aus der L1, eingebracht. Durch Aufgaben können der mündliche und der schriftliche Sprachgebrauch wie in der realen Kommunikation verbunden und aufeinander bezogen werden. Förderung der Textkompetenz durch Aufgaben bedeutet folglich die Befähigung zum reflektierten Umgang mit Schriftlichkeit und gleichzeitig die Befähigung zur textbasierten Kommunikation im mündlichen Bereich.

4.

Aufgabenformulierung und reflektierte Aufgabenbesprechung

Sprachenlernen im Fremdsprachenunterricht erfolgt vor allem anhand von Sachtexten und literarischen Texten. Sie weisen unterschiedliche kommunikative Funktionen auf und ermöglichen so durch ihre spezifischen Merkmale die Verwirklichung unterschiedlicher Lehr- und Lernziele. Durch Sachtexte werden im Fremdsprachenunterricht vor allem informierende, alltagsbezogene und landeskundliche Themen angeboten. Literarische Texte bieten andere Möglichkeiten für den Unterricht. Sie sprechen die Lernenden ästhetisch und affektiv an und ermöglichen eher erzieherische Lehr- und Lernziele, die über den reinen Spracherwerb hinausweisen und zur Persönlichkeitsentwicklung der Lernenden beitragen (vgl. Bredella 2009: 26, Feld-Knapp/Schoßböck 2009: 125 ff ). Der Textauswahl durch den Lehrenden kommt dementsprechend im Fremdsprachenunterricht eine sehr wichtige Bedeutung zu. In beiden Fällen, sowohl beim Umgang mit Sachtexten wie auch mit literarischen Texten, geht es darum, dass die Texte verstanden werden und der Verstehens- und Lernprozess reflektiert wird. Eine besonders große Herausforderung bedeutet die Entscheidung über die Textauswahl und die Förderung der Fähigkeit für den reflektierten Umgang 250

Textkompetenz und Aufgabenorientierung im Fremdsprachenunterricht

mit Texten für Studierende des Lehramts. Um zu zeigen, wie bei Lehramtsstudierenden die Kenntnisse und Kompetenzen zur Aufgabenstellung entwickelt werden können, werden Arbeitsschritte aus einem fachdidaktischen Seminar der Lehrerausbildung an der Eötvös Universität Budapest vorgestellt, in dem am Beispiel einer Kurzgeschichte mögliche Lehr- und Lernziele bestimmt und entsprechende Aufgaben erstellt wurden (vgl. Ehlers 2006: 199 ff, Krenn 2007: 22 ff, Perge 2014: 280 ff.). Das Seminar fand unter dem Motto „Erweiterung des beruflichen Selbstverständnisses zukünftiger Lehrpersonen“ statt. Im Mittelpunkt stand der Umgang mit literarischen Texten. Als Beispiel diente eine Geschichte von Bertolt Brecht, Der hilflose Knabe. Die Textauswahl war bewusst provokativ gewählt, der Text sollte allerdings nicht für den Unterricht didaktisiert werden, sondern sollte bei den Lehramtsstudierenden zur Auseinandersetzung mit den Schwierigkeiten bei der Aufgabenstellung und zu bewusster Reflexion führen. Textbeispiel: Der hilflose Knabe Herr K. sprach über die Unart, erlittenes Unrecht stillschweigend in sich hineinzufressen, und erzählte folgende Geschichte: Einen vor sich hin weinenden Jungen fragte ein Vorübergehender nach dem Grund seines Kummers. „Ich hatte zwei Groschen für das Kino beisammen“, sagte der Knabe, „da kam ein Junge und riss mir einen aus der Hand!“, und er zeigte auf einen Jungen, der in einiger Entfernung zu sehen war. „Hast Du denn nicht um Hilfe geschrien?“, fragte der Mann. „Doch!“, sagte der Junge und schluchzte ein wenig stärker. „Hat dich niemand gehört?“, fragte ihn der Mann weiter, ihn liebevoll streichelnd. „Nein!“, schluchzte der Junge. „Kannst du denn nicht lauter schreien?“, fragte der Mann. „Nein!“, sagte der Junge und blickte ihn mit neuer Hoffnung an. Denn der Mann lächelte. „Dann gib auch den her!“, sagte er, nahm ihm den letzten Groschen aus der Hand und ging unbekümmert weiter.

Im Seminar wurden die oben genannten Kriterien von Portmann-Tselikas für die Aufgabenstellung zugrunde gelegt. Im ersten Schritt wurden die Kriterien für die Textauswahl erörtert und der Text im Hinblick auf seine Potenziale für den Unterricht analysiert: – Der Text eignet sich für Sprachlernende ab B1, die Textlänge ist für eine Unterrichtsstunde angemessen. Die Lernenden können sich mit einem Thema auseinandersetzen, das sie in ihrer Lebenswelt verorten können. Der Text bringt sie zum Nachdenken, vielleicht auch zum Widerspruch, und regt damit zur Kommunikation an. 251

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Im zweiten Schritt wurden die möglichen Lehr- und Lernziele in Bezug auf die Förderung der Textkompetenz und der textbasierten Kommunikation festgelegt: – Reflektiert lesen, inhaltliche Bezüge innerhalb eines Textes herstellen, den Text als Ganzes erfassen können. – Verborgene Sinnzusammenhänge aus dem Text ableiten, die satzübergreifenden Zusammenhänge erschließen können. – Thema des Textes erfassen können. – Hypothesen bilden, Hintergrundwissen und Vorkenntnisse aktivieren können. – Text- und Weltwissen verbinden können. – Kausale Ursachen und Folgen im Text herausfinden können.

Im dritten Schritt erfolgte die Diskussion über die konkrete Aufgabestellung und dabei wurde folgende Sammlung möglicher Aufgaben erarbeitet: – Den Text individuell lesen und verstehen. Den eigenen Verstehensprozess reflektieren und Schlussfolgerungen ziehen, wie Verstehen entsteht. – Die Referenzstruktur markieren. Die Bezugnahme auf Herrn K. und auf den Jungen im Text mit unterschiedlichen Farben markieren. – Die sprachlichen Mittel der Referenzstruktur in ihrer Funktion erfassen und erklären. – Den Text durch Sprach- und Weltwissen vervollständigen. – Fragen beantworten: Welche Handlung wird erzählt? Was ist der eigentliche Inhalt des Textes? Was ist das tatsächlich Gemeinte im Text? Was ist die Wirkung des Textes? – Zwischen dem Text und eigenen Erfahrungen Parallelen ziehen, eventuell eine Geschichte aus der eigenen Lebenswelt schreiben und über eigene Texte diskutieren.

Nach der Auseinandersetzung mit dem Seminartext wurden Schussfolgerungen für die Förderung der Textkompetenz im aufgabenorientierten Fremdsprachenunterricht gezogen. Ein wichtiges Ergebnis war die Erkenntnis, dass den sprachlichen Mitteln beim Verstehen eine besondere Funktion zukommt. Sie sind beim Verstehen eines Textes nicht an und für sich von Bedeutung, aber über sie kann der inhaltliche Zusammenhang erarbeitet werden. Beim Textverstehen werden Text und Weltwissen bzw. Vorkenntnisse des Lesers miteinander verknüpft, um den Text inhaltlich zu vervollständigen.

252

Textkompetenz und Aufgabenorientierung im Fremdsprachenunterricht

5.

Fazit


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