Hausarbeit Ästhetische Grundbegriffe um 1750 PDF

Title Hausarbeit Ästhetische Grundbegriffe um 1750
Author Josephine Katharina Groß
Course Fächerübergreifende Ästhetische Bildung
Institution Universität Bielefeld
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WiSe, Hausarbeit, 1.3...


Description

Universität Bielefeld Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft Literaturwissenschaft Seminar: Ästhetische Grundbegriffe um 1750 SoSe 2017

Proportionen in der Kunst Sind Proportionen ein Zeichen für Schönheit?

Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung

3

2. Edmund Burke über Proportionen

4 4 5

1. 2.

Kein Schönheitsmerkmal an menschlichen Körpern Schönheit durch das genaue Einhalten der Proportionen in der bildenden Kunst

3. Der Mensch als Vorbild für die Architektur – Von Vitruv bis zu Leonardo da Vinci 1. 2.

Spiegelsymmetrie Weiterentwicklungen

6 8 9

4. Symmetrie als Schönheitsmerkmal – Unterscheidung Symmetrie in der Mathematik und in der Kunst

10

5. Geometrische Formen

11 12 12

1. 2.

Befürworter Gegner

6. Der goldene Schnitt als Maß zur schönen Kunst 1. 2.

Der goldene Schnitt in der Mathematik Erscheinungsformen in der Natur a) Natur und Mensch b) Kunst und Architektur

13 13 14 14 15

7. Fazit

15

Literaturverzeichnis

17

Eigenständigkeitserklärung

19

2

1.

Einleitung

Schon unzählige Wissenschaftler, Poeten, Lyriker und bestimmt noch viele weitere haben versucht, den Begriff Schönheit in Worte zu fassen. Denn es ist viel leichter, zu sagen, was Schönheit nicht ist, als was sie ist.1 Sie beschäftigt die Menschen und wird in allen Kulturen geschätzt.2 Aber so sehr sie auch überall Anklang findet, so stark kann sie sich auch in den unterschiedlichen Kulturen unterscheiden. So gibt es auf der Welt sehr vielfältige Schönheitsideale.3 Ein Beispiel aus der heutigen Modewelt wäre das Idealbild 90-60-90, was die Verhältnisse von Brust, Taille und Hüfte in Zentimetern angibt4, oder dass ein Gesicht umso schöner erscheint, je symmetrischer es ist. Ausgangspunkt dieser Arbeit ist die radikale Ansicht Edmund Burkes, Schönheit hätte rein gar nichts mit Proportionen zu tun. Diese Stellungnahme soll zu Beginn kurz aufgeführt und in den wichtigsten Punkten wiedergegeben werden, sodass davon ausgehend die Frage behandelt werden kann, ob es nicht doch irgendwelche Proportionen oder Maßverhältnisse gibt, die Schönheit erzeugen oder gar verkörpern. Dabei wird im Vordergrund stehen, wie Proportionen, Symmetrie, geometrische Figuren oder der sogenannte goldene Schnitt in der Kunst verwendet werden, um Schönheit zu erschaffen. Neben der bildenden Kunst wird aber auch die Architektur keine unbedeutende Rolle spielen. Und auch wenn man die Architektur und den menschlichen Körper auf den ersten Blick nur schwerlich miteinander vergleichen kann, soll auch deren Zusammenhang im Folgenden herausgestellt werden. Da die Meinungen zu diesem Thema sehr auseinandergehen, wird dabei stetig versucht werden, beide Seiten in einem ausreichenden Maße zu beleuchten. Um den vorgegebenen Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu sprengen, wird es in den meisten Punkten bei einer eher oberflächlichen Darstellung bleiben, damit mehrere Arten an Proportionen, die in der Kunst verwendet werden, präsentiert und diskutiert werden können. In einem Fazit werden die Ergebnisse noch einmal abschließend zusammengefasst.

Vgl. Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Altertums. 1. E-Book Edition. Berlin: 2003, S. 123. 2 Vgl. Welsch, Wolfgang: „Von der universalen Schätzung des Schönen.“ In: Die Permanenz des Ästhetischen. Hg. von Melanie Sachs & Sabine Sander. VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009, S. 93. 3 Vgl. Ebd., S. 94. 4 Vgl. Posch, Waltraud: Projekt Körper. Wie der Kult und die Schönheit unser Leben prägt. Frankfurt am Main: Campus Verlag 2009, S. 87. 1

3

2.

Edmund Burke über Proportionen „Man sagt gewöhnlich, daß Schönheit in einer bestimmten Proportion von Teilen bestehe. Bei genauer Erwägung finde ich gute Gründe, daran zu zweifeln, daß Schönheit eine Idee sei, die überhaupt mit Proportionen zusammenhängt.“5

Mit diesen Worten beginnt Edmund Burke sein erstes Kapitel über Proportionen und deren Zusammenhanglosigkeit mit der Schönheit. Burke vertritt die standfeste Überzeugung, dass Schönheit weder etwas mit Messungen, Berechnungen, noch mit Geometrie zu tun habe.6 Denn sowohl in der Pflanzenwelt als auch im Tierreich fände sich eine „außerordentlich große Mannigfaltigkeit der Gestalten“7, die alle auf ihre eigene Weise schön sind, auch wenn sie in ihren Proportionen unterschiedlicher kaum sein könnten.8 Er geht sogar so weit, zu behaupten, dass „Methode und Exaktheit, die die Seele der Proportion sind, der Ursache der Schönheit eher im Wege als zur Seite stehen.“9

2.1.

Kein Schönheitsmerkmal an menschlichen Körpern

Dass der menschliche Körper aus unterschiedlichen Teilen besteht, die in exakten Proportionen zueinanderstehen, ist allgemein bekannt und auch von Burke nicht verneint.10 Wenn man lange genug sucht, finde man überall irgendwelche Proportionen. Laut Burke haben diese jedoch nichts mit einem Schönheitsideal zu tun. Dies begründet der Philosoph damit, dass die Menschen zwar verhältnismäßig korrekt gebaut sein können, aber dennoch nicht als schön oder sogar als durchaus hässlich wahrgenommen werden.11 So kommen bei Burke auch die Künstler und Kunsttheoretiker nicht ohne Kritik davon, wie folgendes Zitat verdeutlicht: „Man mag beliebige Proportionen für alle Teile des menschlichen Körpers festsetzen – und ich garantiere dafür, daß ein Maler sich an alle halten kann wie an die Offenbarung selbst und trotzdem, wenn er will, eine äußerst häßliche Gestalt zustande bringt. Und derselbe Maler kann beträchtlich von den vorgeschriebenen Proportionen abweichen und eine ausnehmend schöne Gestalt hervorbringen.“12

Diese Überzeugung der Künstler, „daß Proportion die Hauptursache der Schönheit ist“13, ist für Burke nur wenig nachvollziehbar.

5 Burke, Edmund: Philosophische Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen. Hg. von Werner Strube. Hamburg: Felix Meiner Verlag 1989, S. 128. 6 Vgl. Ebd., S. 129. 7 Ebd., S. 132. 8 Vgl. Ebd., S. 131f. 9 Ebd., S. 132. 10 Vgl. Ebd., S. 133. 11 Vgl. Ebd., S. 133f. 12 Ebd., S. 134. 13 Ebd., S. 137.

4

Vielleicht ist es nun an der Zeit, einmal die hier Kritisierten zu Wort kommen zu lassen. Die Frage nach den richtigen Proportionen zählt nämlich zu den Grundfragen der Kunst und beschäftigt seit jeher sowohl Kunsthistoriker als auch Künstler selbst.14

2.2.

Schönheit durch das genaue Einhalten der Proportionen in der bildenden Kunst

Johann Joachim Winckelmann, welcher auch als Begründer der modernen Kunstgeschichte gilt, ging in seinem Werk Geschichte der Kunst des Altertums nicht nur dem Ursprung der Kunst auf den Grund, sondern beschäftigte sich auch ausführlich mit der menschlichen Gestalt und wie man diese am besten künstlerisch umsetzt.15 Er bezeichnet die Schönheit als den höchsten Endzweck und Mittelpunkt der Kunst 16 und möchte man nun einen menschlichen Körper zeichnen, so braucht man zuerst eine spezielle Kenntnis über Maße, Verhältnisse und Formen, welche schon von den ersten griechischen Künstlern bewusst eingesetzt wurden, um Schönheit zu schaffen.17 So teilt auch Winckelmann den menschlichen Körper in zahlreiche Teile ein, die in ganz präzisen Verhältnissen zueinanderstehen, sodass die Schönheit, die daraus entstehen soll, allgemein festgelegt wird.18 Allein die Anleitung zum Zeichnen eines perfekten Gesichts ist so präzise und ausführlich, dass an dieser Stelle lediglich ein kurzer Ausschnitt davon gezeigt werden soll: „Man zieht eine senkrechte Linie, welche in fünf Abschnitte geteilt wird: das fünfte Teil bleibt für die Haare; das übrige von der Linie wird wiederum in drei gleiche Stücke geteilt. Durch die erste Abteilung von diesen dreien wird eine Horizontallinie gezogen, welche mit der senkrechten Linie ein Kreuz macht; jene muß zwei Teile von den drei Teilen der Länge des Gesichts in der Breite haben.“ 19

Wenn man dieser prägnanten Anleitung folgen würde, erhielte man laut Winckelmann schließlich ein Gesicht, welches sowohl wahrheitsgetreu als auch, aufgrund der exakt eingehaltenen Proportionen, schön sei.20 Und selbst wenn man als Zeichenschüler das Kunsthandwerk erst erlernen muss, helfen diese strikten Vorgaben der zu zeichnenden Figur einen natürlichen und richtigen Eindruck zu verleihen.21 Und diese Regeln müssen nach Winckelmann in der bildenden Kunst unbedingt befolgt werden, „denn wenn das Ohr nicht mit der Nase gleichsteht, wie es sein sollte, sondern ist

14 Vgl. Beutelspacher, Albrecht & Petri, Bernard: Der Goldene Schnitt. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage. Mannheim: BI-Wiss-Verlag 1995, S. 139. 15 Vgl. Winckelmann (2003). 16 Vgl. Ebd., S. 124. 17 Vgl. Ebd., S. 123. 18 Vgl. Ebd., S. 148f. 19 Ebd., S. 151. 20 Vgl. Ebd., S. 152. 21 Vgl. Beutelspacher & Petri (1995), S. 137.

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wie an einem Brustbilde eines indischen Bacchus des Herrn Kardinal Alexander Albani so ist dieses ein Fehler, welcher nicht zu entschuldigen ist.“22 Außerdem sind diese Regeln der Proportionen in der Kunst, gewonnen an den wohl regelmäßigen Verhältnissen des menschlichen Körpers, wie sie auch in der Proportionslehre des Polyklet festgehalten wurden23, laut Winckelmann „wahrscheinlich von den Bildhauern zuerst bestimmt und nachher auch Regeln in der Baukunst geworden.“24 So soll auch im folgenden Kapitel der Fokus weiter auf die Architektur gelegt werden.

3.

Der Mensch als Vorbild für die Architektur – Von Vitruv bis zu Leonardo da Vinci

Vornehmlich das Werk des römischen Architekten Vitruv ist noch heute von großer Bedeutung, da es bereits unzählige Male neu gedruckt oder abgeschrieben, sowie übersetzt und kommentiert wurde.25 Insbesondere im Tempelbau schienen die Proportionslehren der antiken Bildhauer Verwendung gefunden zu haben.26 So findet man in dem ersten bekannten Lehrbuch der Architektur De architectura, III.1 Entwürfe Vitruvs, in welchen er an Polyklets Proportionslehre „anknüpfend eine Architekturästhetik, die den menschlichen Körper als Maß für perfekte Bauwerke nahm“27, entwickelte.28 „Der Kanon war zunächst eine Proportionslehre von den Längen- und Abstandsverhältnissen der Teile des menschlichen Körpers zueinander und zum ganzen Körper als Anleitung für Künstler. So wie die Pythagoräer die perfekten Harmonien in der Musik durch Zahlenverhältnisse auszudrücken suchten, so beschrieb Poliklet den perfekten menschlichen Körper durch Maßzahlverhältnisse.“29

Aber nicht allein die idealen Maßverhältnisse, wie beispielsweise das Verhältnis von Vorderarm zum gesamten Körper, welches ein Viertel beträgt, „sondern auch ideale absolute Zahlen, wie etwa die Zehn entsprechend der Anzahl der Finger“30, wurden dem menschlichen Körper entnommen.31 Wickelmann (2003), S. 149. Vgl. Schummer, Joachim: „Symmetrie und Schönheit in Kunst und Wissenschaft.“ In: Ästhetik in der Wissenschaft. Hg. von Wolfgang Krohn. Hamburg: Meiner 2006, S. 2. 24 Winckelmann (2003), S. 150. 25 Vgl. Weyrauch, Sabine: Die Basilika des Vitruv. Studien zu illustrierten Vitruvausgaben seit der Renaissance mit besonderer Berücksichtigung der Rekonstruktion der Basilika von Fano. Tübingen: 1976, S. 15. 26 Vgl. Schlummer (2006), S. 2. 27 Ebd., S. 2. 28 Ebd., S. 2. 29 Ebd., S. 2. 30 Ebd., S. 2. 31 Vgl. Ebd., S. 2. 22

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6

Ordnung und Proportionalität fordert auch das Concinnitas, welches als absolutes und oberstes Naturgesetz von Leon Battista Albertis ins Leben gerufen wurde und in einem engen Verwandtschaftsverhältnis zu Vitruvs antikem Symmetriebegriff steht. Und auch François Blondel, Direktor der Académie Royale d’Architecture in Paris, hielt aus dem trivialen Grund an diesen strengen Proportionsregeln fest, da sie jedermann gefallen würden und ein Gebäude gleich an Schönheit verliere, sobald die wesentlichen Proportionen nicht eingehalten werden würden.32 „Darüber hinaus sah Vitruv die perfekte Proportionierung und Lage der Körperteile im Körperganzen dadurch bestätigt, dass dieser bei ausgestreckten Armen und Beinen genau durch ein Quadrat und durch einen Kreis mit dem Zentrum im Bauchnabel einbeschrieben werden könnte. Damit wurden auch die für die Architektur zentralen geometrischen Formen, Quadrat und Kreis, auf den menschlichen Körper bezogen“ 33.

Daneben ist auch Michael Müller der Auffassung, dass die Architektur ein ganz spezielles Verhältnis zur Natur und so auch zum Menschen besitzt, welche sich beide gegenseitig beeinflussen und neu formen.34 „Erst war die Natur das Vorbild, dann wurde sie zum Nachbild der Kunst.“35 So heißt es in Martin Seels Werk über die Ästhetik der Natur. Burke hält dies alles für falsch und an den Haaren herbeigezogen. Er vertritt die Meinung, dass es mit großer Sicherheit keine zwei Dinge gibt, „die weniger Ähnlichkeit oder Analogie miteinander haben wie ein Mensch einerseits und ein Haus oder Tempel andererseits.“36 Da der Mensch von dem Drang getrieben sei, seine Gestalt und seine geschaffenen Werke „zum Maßstab der Vollkommenheit aller möglichen Dinge zu machen“37, habe er laut Burke die genannten Analogien nur erfunden, „um den Werken der Kunst durch den Aufweis einer Gleichartigkeit zwischen ihnen und den edelsten Werken der Natur ein größeres Ansehen zu verschaffen“38 und nicht wie Vitruv und andere Architekten seiner Zeit es vorgaben, „aus der Natur ernstlich Winke für eine vollkommene Gestaltung jener Kunstwerke zu gewinnen.“39

32 Vgl. Kambartel, Walter: „Symmetrie und Schönheit. Über mögliche Voraussetzungen des neueren Kunstbewusstseins in der Architekturtheorie Claude Perraults.“ In: Theorie und Geschichte der Literatur und der schönen Künste. Texte und Abhandlungen. Hg. von Max Imdahl, Wolfgang Iser, Hans Robert Jauss, Wolfgang Preisendanz & Jurij Striedter. Band 20. München: Wilhelm Fink Verlag 1972, S. 20f. 33 Schummer (2006), S. 2. 34 Vgl. Müller, Michael: Die Verdrängung des Ornaments. Zum Verhältnis von Architektur und Lebenspraxis. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1977, S. 56. 35 Seel, Martin: Eine Ästhetik der Natur. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991, S. 11. 36 Burke (1989), S. 138. 37 Ebd., S. 138. 38 Ebd., S. 138. 39 Ebd., S. 138.

7

So zählt des Weiteren Le Corbusiers Modulor, ein Maßsystem der Architektur, welches sowohl an den Proportionen des menschlichen Körpers, als auch am goldenen Schnitt, auf welchen in einem späteren Kapitel noch Bezug genommen werden soll, entwickelt wurde, zu den wichtigsten, gleichzeitig aber auch zu den umstrittensten Ansätzen des 20. Jahrhunderts.40 Es ist gerade so, als würden Kunst und Natur ständig darum wetteifern, welche von ihnen nun die maßgebende Instanz darstellt.41 Seel liefert eine lange Kette an ähnlichen Sätzen wie: „Entweder die Natur ist ein handelndes Subjekt, an dem sich alle menschliche Vernunft ein Beispiel nehmen muß, oder das Beispiel der Vernunft liegt in der Fähigkeit, die Natur zum verfügbaren Objekt allen Tuns zu machen. […] Entweder folgen die Erfindungen der Künstler den Schöpfungen der Natur, oder die Betrachtung der Natur folgt den Erfindungen der Künstler.“ 42

Letztendlich mündet aber alles in folgender Aussage: „Entweder, so scheint es, ist die Natur ein Vorbild, oder sie ist ein Nachbild der Kunst.“43

3.1

Spiegelsymmetrie

Um aber auf Vitruv zurückzukommen, soll nun der Begriff der Spiegelsymmetrie eingeführt werden. Im Klassizismus wurde dieser Begriff zum dominierenden Ordnungsprinzip der Architektur, weshalb es reichlich seltsam erscheinen mag, dass Vitruv dieses Wort nie definierte noch selbst gebrauchte, sondern es stets implizit voraussetzte. Es kam nämlich durchaus vor, dass er bei einem Tempel, der offensichtlich spiegelsymmetrisch aufgebaut war, nur eine Seite im Detail beschrieb. Auch in einigen Architekturskizzen aus Zeiten der Renaissance findet man die Beschränkung auf die Hälfte des Gebäudes, was impliziert, dass es eindeutig spiegelsymmetrisch sein muss.44 „Tatsächlich war dieser Begriff rudimentär im antiken Begriff der Proportion enthalten als Proportion der Gleichheit von Teilen auf zwei gegenüberliegenden Seiten.“45 Und auch die Spiegelsymmetrie besitzt ihre ästhetische Begründung im menschlichen Körper, womit sie eine bedeutende Rolle in der Kunst, wie auch in der Architektur und zeitweise im barocken Gartenbau, spielte. So wurde sie zwar zu einem wichtigen Begriff der

Vgl. Schummer (2006), S. 3. Vgl. Seel (1991), S. 11. 42 Ebd., S. 11. 43 Ebd., S. 12. 44 Vgl. Schummer (2006), S. 3f. 45 Ebd., S. 3f. 40

41

8

Kunsttheorie, geriet jedoch in ihrer Rolle als Schönheitskriterium zwischenzeitlich stark in die Kritik, da sie steril und monoton wirke.46

3.2

Weiterentwicklungen

Und dennoch wurden die antiken Symmetrielehren auch in der Renaissance von zahlreichen bedeutenden Künstlern wieder aufgegriffen.47 „Von Donatellos Bronzefigur ,David‘ (1432) über Botticellis Gemälde ,Geburt der Venus‘ (um 1486) zu Michelangelos ,David‘ (1504): die großen Meister führten nicht nur den klassischen Kontrapost wieder ein, sondern stützten sich auch bewusst auf den Kanon bzw. den Doryphoros des Polyklet.“ 48

Leonardo da Vinci, welcher doch als einer der größten Erforscher der Natur bekannt ist49, war es, der sich wieder Vitruvs Maßverhältnissen und -zahlen des wohlgeformten, menschlichen Körpers zuwandte und dessen Entwürfe korrigierte und weiterentwickelte.50 „Seine Manuskripte sind voll von den minuziösesten Beobachtungen unzähliger Naturphänomene“51. Aber auch Leon Batista Alberti und Albrecht Dürer trugen ihren Teil dazu bei, die Proportionslehren des Vitruvs theoretisch weiterzuentwickeln und sie als Ausgangspunkte ihrer künstlerischen und architektonischen Werke zu verwenden.52 Diese klassische Symmetrielehre, die von idealen Proportionen ausgeht, prägte die Kunstund Architekturtheorie bis ins 20. Jahrhundert. Doch nicht immer hatten diese den menschlichen Körper zum Vorbild, wie bei Vitruv oder da Vinci. Die Proportionen wurden ebenfalls durch musikalische Eindrücke, Wahrnehmungsgewohnheiten oder werkimmanent begründet.53 Im Folgenden soll es weiterhin um Symmetrie gehen und herausgestellt werden, wie vielschichtig dieser Begriff ist und ob er als Schönheitsmerkmal gilt oder nicht.

Vgl. Ebd., S. 4. Vgl. Ebd., S. 3. 48 Ebd., S. 3. 49 Vgl. Gombrich, Ernst: Ideal und Typus in der italienischen Renaissancemalerei . Hg. von der gemeinsamen Kommission der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Gerda Henkel Stiftung. Opladen: Westdeutscher Verlag 1983, S. 17. 50 Vgl. Schummer (2006), S. 3. 51 Gombrich (1983), S. 17. 52 Vgl. Schummer (2006), S. 3. 53 Vgl. Ebd., S. 3. 46

47

9

4.

Symmetrie

als

Schönheitsmerkmal



Unterscheidung

der

Symmetriebegriffe in der Mathematik und in der Kunst Das Wort Symmetrie scheint nämlich wie kein anderes dafür geeignet zu sein, „nicht nur eine Brücke zwischen Wissenschaft und Kunst zu schlagen, sondern beide unter einem gemeinsamen Dach zu vereinen.“54 Es wird aber bald schon auffallen, dass dieser Begriff gar nicht so eindeutig und mathematisch ist, wie er am Anfang scheinen mag. Walter Kambartel stellte fest, dass mit Symmetrie gar nicht das gemeint ist, was wir heute unter diesem Begriff verstehen, und zwar die Kongruenz zweier identisch gespiegelter Seiten. Er weist darauf hin, dass die alten Griechen unter dem Terminus Symmetrie wohl nichts anderes als Proportion verstanden.55 Und auch der Physiker Werner Heisenberg definiert Schönheit „als die richtige Übereinstimmung der Teile miteinander und mit dem Ganzen“56, was ebenfalls nichts anderes als Proportion bedeutet, und stellt fest, „daß sie in der exakten Naturwissenschaft ebenso wie in den Künsten die wichtigste Quelle des Leuchtens und der Klarheit [also der Schönheit] ist.“57 Angenommen, Symmetrie oder Proportion sei, wie es auch...


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