VL4-Familienentwicklung Ganzes Haus Zu Modernen Familienformen PDF

Title VL4-Familienentwicklung Ganzes Haus Zu Modernen Familienformen
Course Einführung in die Soziologie (Enzelberger)
Institution Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
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Vorlesung Enzelberger...


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Soziologie

Vorlesung 4: Die historische Entwicklung der Familie im Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft im 18. Und 19. Jh.: Vom Ganzen Haus zur modernen bürgerl. Familie Einleitung  In Bezug auf Gegenwartssituation/ Zukunftschancen von Familie wird oft von Krise und Verfall gesprochen  Angemessene Erfassung des Wandels der Familie und adäquate Bewertung der Zukunft der Familie ist nur auf der Basis der Kenntnis der geschichtlichen Entwicklung der Familie möglich  Wenn von Krise der Familie gesprochen wird, wird von der Universalität der Kleinfamilie (Gattenoder Kernfamilie) ausgegangen. (MURDOCK 1949)  Sozialgeschichte widerlegt diese Annahme  4 Mythen: 1. Familie als Hort von Harmonie und Glück; 2. Kontraktionsgesetz (DURKHEIM); 3. Funktionsverlust 4. Pluralisierung nach 2. Weltkrieg.

Übergang vom Ganzen Haus zu den modernen Familienformen im 18. Und 19. Jahrhundert unter der Berücksichtigung der… … sozioökonomischen und politischen Hintergründe … Struktur, Beziehungen, Funktionen der jeweiligen Familienform Das Ganze Haus  Eigenschaften/ Struktur o Vorindustrielle traditionale Gesellschaft gekennzeichnet durch eine marktunabhängige, familienwirtschaftlich fundierte Lebensform, primär für die Selbstversorgung produzierend o Sozialverband: große Haushaltsfamilie als gemeinsame Welt von Vater, Mutter, Kindern, Mägden, Knechten, Lehrlingen und Gesellen (im bäuerlichen/ handwerklichen Bereich), sowie nichtverwandte Angehörige o Erfüllung aller zentralen gesellschaftlichen Funktionen (Konsumtion, soziale Reproduktion, Politik, Recht, Ausbildung, Kranken- und Altenpflege) o Vereinigung von Produktion und Familienleben (bäuerliche/ handwerkliche Lebensweise) o Vorindustrielle Gesellschaft: undifferenzierte Gesellschaft mit keinerlei gesellschaftlichen Teilsystemen mit spezifischen Funktionen wie in modernen Gesellschaft o Alle Familienmitglieder wurden als Arbeitskräfte betrachtet und unterstanden der patriarchalisch-autoritären Herrschaft des Hausvaters o Die Kernfamilie stellte keine gesonderte soziale Einheit innerhalb der Hausgemeinschaft dar o Ein gemeinsames Leben unter einem Dach, gemeinsames Essen, gemeinsames Arbeiten zeugte für Familienzusammengehörigkeit, nicht die Abstammung o Haus: keine Privat- und Rückzugsphäre!  Funktionen: Arbeitsteilung im Ganzen Haus o Keine geschlechtsspezifischen Wesenszuschreibungen, aber ein strikt patriarchalisches Geschlechterverhältnis o Bäuerlicher Haushalt » Familienvater: Kontroll- und Weisungsbefugnisse gegenüber der Frau, Eigentümer an Grund und Boden, Familienhaupt, hausferne Arbeiten » Ehefrau: hauszentrierte Arbeiten, aber an der Produktion beteiligt (im Handwerkeroder Handelshaushalt Sozialisationsfunktionen und Versorgungsleistungen, geschäftliche Tätigkeiten)  Hausarbeit war nie auf jene Tätigkeiten beschränkt, die wir heute mit dem Begriff assoziieren.  Beziehungen: Der Ehepartner und die Eltern-Kind-Beziehungen o vorwiegend ökonomisch bestimmte Beziehungen und Partnerwahl: sachliche, affektivneutrale instrumentelle Beziehungen.

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Kinder: Arbeitskräfte mit materiellem Wert, spezifische Eigenarten erfuhren keine große Aufmerksamkeit, keine bewusste, zielgerichtete Erziehung und Mutterschaft, sie lernten allein durch Miterleben und Mitarbeit, keine Zuweisung der Frau zum Emotional-Expressiven. Mutters Rolle: nur elementare physische Versorgung; Kinder auch Belastung  still gestellt; getötet über Gewalt und Vernachlässigung; aber auch Kinderliebe nachgewiesen!

Moderne bürgerliche Familie Sozioökonomische und politische Hintergründe: o Herausbildung des zentralen absolutistischen Territorialstaates und merkantilistischen Wirtschaftssystems 18. Jh.  zentrales Verwaltungs- und Dienstleistungssystems  modernes Beamtentum, wohlhabendes Bürgertum o Industrialisierung  wohlhabendes industrielles Besitzbürgertum (v.a. im 19. Jh.): strukturell-funktionale Ausdifferenzierung eigenständiger gesellschaftlicher Teilbereiche (Wirtschaft, Politik, Recht, Wissenschaft, Kultur, Bildungswesen) mit eigenständigen und spezifischen Funktionen für Erhalt und Weiterentwicklung der Gesamtgesellschaft  erhöhte Leistungsfähigkeit und Komplexität der Gesellschaft.  Entstehung der bürgerlichen Familie als Vorläufermodell der modernen Kleinfamilie  Struktur: o Durch die Industrialisierung und der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung eines neuartigen geld- und marktorientierten Wirtschaftssystems kommt es zur Auslagerung der Produktion aus dem Familienbereich und zur Trennung von Wohn- und Arbeitsstätte, zur Auslagerung der Ausbildung (in die Schule) und der Alten- und Krankenpflege » In systemtheoretischer Sicht (NEIDHARDT, SCHELSKY, KÖNIG): „Desintegration“ der Familie (Herauslösungs-prozess der Familie aus gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen parallel zu anderen sich auffächernden Teilbereichen wie Wirtschaft, Recht, Religion und Wissenschaft.)  Funktion: Intimisierung und Emotionalisierung von Familie o Herausbildung eines neuen verselbständigten gesellschaftlichen Teilsystems mit spezifischen Funktionen  Reproduktion und Sozialisation der Kinder, Gegenstruktur zum sachlichen, rational strukturierten, unpersönlichen, affektiv-neutralen Bereich des ökonomischen Teilsystems o Befriedigung affektiver Bedürfnisse wie Intimität, Sicherheit und Geborgenheit, Regeneration und emotionale Stabilisierung der Familienmitglieder o Funktionale Entlastung bzw. Spezialisierung  Privatisierung, Intimisierung, Emotionalisierung und Individualisierung der innerfamilialen Beziehungen, auch aufgrund Auslagerung des Gesindes; verantwortlich für familiäres Leben und Heim als Gegenstruktur: o Frau als schönes Geschlecht - neue Rolle: Dasein für andere; "Selbstlosigkeit als Selbstverwirklichung" (s. ROUSSEAUS "SOPHIE")  Aufspaltung der bürgerlichen Gesellschaft in eine öffentliche und eine private Lebenssphäre. o Zentraler Erklärungsfaktor des familialen Strukturwandels: Trennung von Familie und Wirtschaft  Beziehungen: Das Ideal der romantischen Liebe o Entstehung des neuen Leitbildes der Ehe als Liebes- und Intimgemeinschaft in der Romantik, Basis auf romantischer Liebe o Ehepartner gewinnen Einmaligkeit und Individualität o Sexualität persönlicher und untrennbar an die Liebe gebunden  Vorbereitung der als dauerhaft und monogam gedachten Ehe o HILL: Emotionen der romantischen Liebe gab es schon immer  Beziehungen: Entstehung von Kindheit o Freistellung der Kinder von der Produktion  Entstehung der Kindheit als selbständige, anerkannte Lebensphase 

Soziologie Kinder gewinnen immateriellen Wert/psychischen Nutzen  Hauptaufgabe der Frau  pädagogische Aufmerksamkeit und bewusste Erziehung o Bedingungen für neues Interesse an Kindern: » Übergang von ständischer zur Industriegesellschaft (Ausbildung, individuelle Leistung statt Geburt entscheidet über soziale Position) » Glauben an Machbarkeit der Natur und des Menschen  bewusste Erziehung (s. KANT); Forderungen der Aufklärung: Übernahme der Erziehungsverantwortung durch Eltern; Einüben in industrielle (Arbeits-)Tugenden. Beziehungen: Arbeiterfamilien o Durch Entwicklung der Industriegesellschaft  Arbeiterfamilie als quantitativ dominierender Familientyp (klare Trennung vom Produktionsbereich). o Die randständige sozioökonomische Situation, Doppelbelastung der Frau, Kinderarbeit, Wohnverhältnisse, Kontrolle der Nachbarn, Patriarchalismus machten Privatisierung, Intimisierung und Emotionalisierung und die Verwirklichung des bürgerlichen Hausfrauenmodells unmöglich  trotzdem spielte bürgerliche Geschlechterideologie entscheidende Rolle  "Soziales Zölibat der Unterschicht". o



Warum spricht man bezogen auf die vorindustrielle Zeit vom Mythos der Großfamilie?  

Lange geglaubt, dass das Ganze Haus als Groß- bzw. Dreigenerationenfamilie die vorherrschende Familienform in der vorindustriellen Zeit war FREDERIC LE PLAY, 1806-1882, WILHELM HEINRICH RIEHL, 1823-1897, EMILE DURKHEIM (18581917): Durch Einfluss der Industrialisierung schrumpfte die in der traditionellen Gesellschaft weit verbreitete Großfamilie zur isolierten Klein- bzw. Kernfamilie  ahistorisches Konzept  DURKHEIMSCHE Kontraktionsgesetz nicht aufrecht zu erhalten

Wandel der Geschlechterrollen im Zuge der Entstehung der modernen bürgerlichen Familie Polarisierung der Geschlechterrollen  Die Trennung von Wohn- und Arbeitsstätte erwirkte die Polarisierung der Geschlechterrollen o Mann  öffentliche und berufliche Sphäre, alleiniger Familienernährer, Besitzer und Verwalter des familialen Vermögens o Frau  aus erwerbsmäßiger Produktion ausgeschlossen, auf familialen Binnen- und Funktionsraum reduziert, bürgerliche Häuslichkeit, Intimität, Erziehung der Kinder und Reproduktion  Verhäuslichung der bürgerlichen Frau  Entdeckung der Mutterliebe; zum 1. Mal Definition der Frau über Mutterliebe; auch neuer Lebenssinn der Frau angesichts neuer objektiver Nutzlosigkeit! o Zur Legitimierung der neuen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung wurde die neue Theorie von der wesensmäßigen Polarität der Geschlechtercharaktere entwickelt o 19. Jh.: Bürgerliches Familienideal zum kulturell vorherrschenden Leitbild. (S. SCHILLER "Die Glocke")

Inwieweit kann man sagen, dass Struktur und Funktion der Familien aus historischer Perspektive stets eng mit den Produktionsbedingungen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen verknüpft waren? s

Familien

Soziologie 

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Familiengröße o Vorindustrielle Zeit: Familien dominieren mit eher geringer Kinderzahl (hohe Säuglingssterblichkeit, hohes Heiratsalter) Erbrecht, Heiratsmuster und Familienstruktur o Für Struktur und Größe vor allem die Erb- und Heiratsregelungen entscheidend Das west- und mitteleuropäische Heiratsverhalten (European marriage pattern) o Typische Erb- und Heiratsreglung in West-/Mitteleuropa mit dem damit verbundenen hohen Heiratsalter und der geringen Lebenserwartung waren Drei-Generationen-Haushalte in der vorindustriellen Zeit kaum gegeben (Prinzip „eine Heirat, ein Haushalt“ LASLETT). o Direkter Zusammenhang zwischen Industrialisierungsprozess und Reduktion der Familiengröße in keiner der westlichen Nationen zu beobachten o Das Aufkommen überregionaler Märkte (Ende des 18. Jh.s) ermöglichte außerhäusliche Erwerbstätigkeit und Unabhängigkeit vom elterlichen Erbe und damit eine frühe Heirat und größere Familien. Seit dem Mittelalter wohnten die meisten Ehepaare außerdem nach der Heirat neolokal Vielfalt von Familienformen in der vorindustriellen Zeit o Vor und zu Beginn der Industrialisierung: große Vielfalt familialer Lebensformen Die unvollständige Familie o Lange vor der Industrialisierung gab es häufig unvollständige Familien. Entscheidend hierfür war die Arbeitsorganisation. o Im Ganzen Haus als Produktionsstätte herrscht „Rollenergänzungszwang“. Erst mit Lohnarbeit entfällt dieser Zwang (Familien ohne Produktionsfunktion) und unvollständigen Familie treten auf  Die Arbeitsorganisation bzw. das Verhältnis von Produktion und Familie und nicht die Industrialisierung determiniert die Form und Struktur der Familien. Die Industrialisierung, v.a. die hierdurch verursachte massenhafte außerhäusliche Lohnarbeit bewirkt nur eine quantitative Verschiebung. Industrialisierung und Anstieg der Familiengröße o Unter den Industriearbeitern verstärkten sich die erweiterten Familienbindungen (Halt und Unterstützung)  Schwächung der Familienbindungen erst mit der Sozialgesetzgebung o Im Industriezeitalter stieg der Anteil der Dreigenerationenfamilien auch aufgrund ansteigender Lebenserwartung  kein lineares Entwicklungsmodell der Familie. Die Heimarbeiterfamilie o Vorläufermodell der Arbeiterfamilie, Hausindustrie im 18. und 19. Jh. als Existenzgrundlage der ländlichen und städtischen Unterschichten o Form des Ganzen Hauses auf weniger stabiler ökonomischer Basis (protoindustrielle Familienwirtschaft), z.T. auf Geschlechter bezogene Rollenumkehr....


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